Der Weg zurück in den Alltag

Agnes Betschart war von einem Burn-out betroffen. Heute begleitet sie auch Menschen aus dem Burn-out heraus. Hier stellt sie sich den Fragen von Monika Lorez-Meuli, wie sie es geschafft hat, die Krankheit zu bezwingen.

Agnes Betschart litt an einem Burn-out. Heute setzt sie sich Grenzen. Bild: zVg.
Agnes Betschart litt an einem Burn-out. Heute setzt sie sich Grenzen. Bild: zVg.

Im «St. Galler Bauer» vom 4. August hat Jobcoach Monika Lorez-Meuli, Bäuerin und Mitglied der Projektgruppe OST «Burn-out-Prävention in der Landwirtschaft», in einem Interview die möglichen Ursachen und Symptome eines Burn-outs thematisiert. Doch was bedeutet das konkret, wenn eine Bäuerin von einem Burn-out betroffen ist? Agnes Betschart hat diese Erfahrung gemacht und ist bereit, darüber zu berichten. Finanzielle Entscheidungen von grosser Tragweite, zunehmende Komplexität der Betriebe und die vielfältigen Erwartungen der Gesellschaft machen auch der Landwirtschaft zu schaffen. So ist die Gefahr in der Landwirtschaft, an einem Burn-out zu erkranken, doppelt so gross wie in anderen Branchen.

Frau Betschart, können Sie sich kurz vorstellen?

Agnes Betschart: Ich bin vierfache Mutter und arbeite als Bäuerin. Mein Mann und ich bewirtschaften im Kanton Schwyz einen Landwirtschaftsbetrieb in der Bergzone I. Wir halten Mutterkühe, Schafe und haben 160 Hochstammbäume. Einen Teil unseres Einkommens erwirtschaftet mein Mann auswärts als Klauenpfleger. In dieser Zeit bin ich verantwortlich für die Tiere und die Arbeiten auf dem Betrieb. Neben meiner Arbeit auf dem Hof biete ich Coachings an. Ich begleite auch Menschen in der oft langen Genesungszeit aus dem Burn-out. Ich erzähle in Vorträgen meine Geschichte, teile meine Erkenntnisse und Erfahrungen. So möchte ich sensibilisieren und aufklären.

Was war der Grund, dass es Ihnen zu viel wurde?

Betschart: Ich war mir der unwichtigste Mensch in meinem Leben. Ich habe nicht gelernt, meine Bedürfnisse zu erfüllen sowie meine Grenzen wahrzunehmen und einzuhalten. Ich war leistungsorientiert und meine Tage waren vollgepackt mit Arbeit. Diese vielen Verpflichtungen schaffte ich irgendwann nur noch mit immer schnellerem Arbeiten. Auch mein Perfektionismus und die hohe Erwartungshaltung an mich selbst überforderte mich immer mehr.

Welche Anzeichen für ein Burn-out sind aufgetreten?

Betschart: Einschlaf- und Durchschlafstörungen, Tinnitus, Verspannungen im Nacken-, Schulter- und Kieferbereich, Gedächtnis- und Konzentrationsprobleme, Sehstörungen und Schwindel machten sich körperlich bemerkbar. Im sozialen Bereich fühlte ich mich schnell überfordert, Gruppen ab sechs Personen waren für mich zu viele Eindrücke, die ich nicht mehr bewältigen konnte. Autofahren, einzukaufen, ein Mittagessen zu kochen, Stall- und Feldarbeiten; irgendwann schaffte ich das alles nicht mehr. Alles war zu viel.

Was war der Auslöser, dass Sie sich Hilfe geholt haben?

Betschart: Mir wurde klar, dass etwas nicht stimmt. Doch ein Herbst mit vielem Obst stand vor der Türe und ich funktionierte eingeschränkt. Dann kam der Zeitpunkt, wo einfach nichts mehr ging. In meiner Hoffnungslosigkeit fragte ich jemanden um Rat. So bekam ich den Auftrag, meinen Hausarzt anzurufen und mir so Hilfe zu holen. In diesem Moment war es mir nicht mehr möglich, diesen Entscheid selber zu treffen, ich brauchte den Schubs von aussen.

Wie war die Reaktion der Umgebung auf die Diagnose Burn-out?

Betschart: Viele waren überrascht, da ich immer allen vermittelt hatte: Mir ist nichts zu viel, ich schaffe alles. Weil ich offen über meine Erkrankung sprach, waren viele etwas überfordert. Sie fragten dann aber, wie sich das äussert. Ich merkte, dass viel Unwissenheit besteht.

Wie lange waren Sie krankgeschrieben?

Betschart: Leider habe ich mir viel zu spät Hilfe geholt und war deshalb neun Monate 100 Prozent krankgeschrieben. Danach wurde ich von der Krankentaggeldversicherung innerhalb von sieben Monaten schrittweise auf 80 Prozent Arbeitsfähigkeit erhöht. Das war ich nicht fähig, so zu leisten. Um mir Druck wegzunehmen, habe ich je nach Tagesform und Energie mein Pensum angepasst. Dreieinhalb Jahre nach meiner Diagnose war ich wieder auf dem heutigen Niveau. Dieses entspricht nicht dem vor dem Burn-out. Ich schaffe kurzfristig wieder Top-Leistungen bei Arbeiten wie Heuen oder bei der Obsternte zu bringen. Doch brauche ich mehr Pausen und Erholung als früher. Auch Druck halte ich nicht mehr so gut aus. Doch dies ist in Ordnung für mich; das Wichtigste ist, dass es mir gut geht.

Was hat Ihnen in dieser Zeit geholfen?

Betschart: Meine Familie, Freunde und Bekannte waren immer für mich da, unterstützten meine Entscheide und halfen auch auf unserm Betrieb aus. Es war für mich essenziell, zu merken, dass ich als Person wichtig bin; meine Arbeitskraft ist zweitrangig, da bin ich ersetzbar. Um mich mal nur um mich kümmern zu können, musste ich von meiner Familie und meiner Arbeit weg. So war ich 13 Wochen auf der Burn-out-Station einer psychiatrischen Klinik. Dort wurde ich medikamentös optimal eingestellt, bekam Psycho- und Körpertherapie, Achtsamkeitstraining und weitere Unterstützung.

Haben Sie Ihr Leben angepasst?

Betschart: Ich brauchte dreieinhalb Jahre Genesungszeit, um meine unbewusst ablaufenden Muster und Glaubenssätze zu verändern sowie zu lernen, meine Grenzen wahrzunehmen, zu akzeptieren und einzuhalten. Endlich lernte ich meine Bedürfnisse kennen und wurde mir bewusst, dass ich dafür verantwortlich bin, dass diese erfüllt werden. Es war vor allem eine Anpassung meiner Denkweise nötig sowie Achtsamkeit und ein liebevollerer Umgang mit mir selber. Auch meinen Perfektionismus habe ich stark eingeschränkt. Ich erlaube mir heute Pausen im Arbeitsalltag, habe einen Mittagsschlaf eingeführt und arbeite normalerweise in meinem ganz persönlichen Tempo.

Wie wurde das akzeptiert?

Betschart: Meine Veränderungen und meine angepasste Denkweise wurden von allen akzeptiert. Bei der Umsetzung unterstützten mich mein Mann, unsere Kinder und Freunde.

Gibt es etwas, das Sie den Leserinnen und insbesondere auch den Lesern mitgeben möchten?

Betschart: Entschleunigt immer wieder euer Leben. Schaut einmal im Jahr, wo ihr eure Arbeitsbelastung reduzieren könnt. Auch kleine Veränderungen helfen. Das Wachstum eines Betriebes muss gut überlegt sein. Oft haben diese Investitionen das Vergessen eigener Bedürfnisse zur Folge. Plötzlich ist man gefangen, kann nur noch funktionieren, um das Geld für die Hypothek und die Betriebsrechnungen aufzubringen. Über einen längeren Zeitraum führt dies oft zu einem Burn-out, einem Unfall oder einer anderen Krankheit. Perfektionismus frisst viel Zeit. Die Pflege sozialer Kontakte, das Ausüben von Hobbys und alles, was guttut, schenkt Energie. Und das Wichtigste: Habt Freude an eurer Arbeit.

 

Neue Wege gesucht

Gefragt sind neue Wege in der Burn-out-Prävention, um den Betroffenen Brücken zu professionellen Beratungsangeboten zu bauen. Eine Möglichkeit wäre, sogenannte Peers in die Prävention mit einzubeziehen: ehemals Betroffene aus der Landwirtschaft, die bereit sind, über ihre Belastungen und Erkrankungen zu sprechen. Zusätzlich könnten Sentinels zum Einsatz kommen. Das sind Menschen, die regelmässig auf die Höfe kommen, wie Tierärzte, Treuhänder oder Besamungstechniker. «Sie kennen die Umstände auf den Höfen und könnten als eine Art Frühwarnsystem fungieren.» Zuvor müssen Peers und Sentinels geschult werden und es braucht Qualitätsstandards und ein Netzwerk. Es gibt auch eine Charta zur Konstituierung einer überkantonalen ostschweizerischen Plattform zur Burn-out-Prävention in der Landwirtschaft. Bereits unterschrieben haben verschiedene landwirtschaftliche Organisationen, so unter anderem der St. Galler Bauernverband. Zu den Zielen gehört unter anderem, dass die Mitgliederorganisationen ein verbindliches Netzwerk bilden, das sich gemeinsam zum Wohle des betroffenen Menschen und seines familiären Umfelds einsetzt. pd.

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