Braucht es die Biodiversitätsinitiative?

An einer Podiumsdiskussion am Strickhof brachten Befürworter und Gegner der Biodiversitätsinitiative ihre Argumente vor. Ohne Biodiversität geht es offensichtlich nicht. Die Frage ist, wie sich deren Förderung in der Praxis umsetzen lässt.

Zur Podiumsdiskussion mit 75 Teilnehmenden vor Ort und rund 100 Online-Teilnehmenden haben die Agrotechniker HF am Strickhof eingeladen. Die Biodiversitätsinitiative wurde im September 2020 eingereicht und soll am 22. September zur Abstimmung kommen, informierte Moderator Adrian Krebs, früher Chefredaktor der «Bauernzeitung» und heute Mediensprecher des Forschungsinstitutes für biologischen Landbau (FiBL). Artikel 78 der Bundesverfassung zum Natur- und Heimatschutz soll durch Art. 78 a Landschaft und Biodiversität ergänzt werden.

Moderator Adrian Krebs mit den Referenten Samuel Kessens, Jörg Büchi, Martin Rufer und Raffael Ayé (von links). Bilder: Strickhof
Moderator Adrian Krebs mit den Referenten Samuel Kessens, Jörg Büchi, Martin Rufer und Raffael Ayé (von links). Bilder: Strickhof

Unabdingbare Grundlage

«Es gibt viele Ängste vor der Initiative», sagte Raffael Ayé vom Initiativkomitee. Deswegen ist eine gute Aufklärung wichtig. Der Referent ist Geschäftsführer von Bird Life Schweiz. Biodiversität bildet unsere Lebensgrundlage für die Ernährung und die Herstellung von Medikamenten. Nicht zuletzt spielt sie auch für Erholung und Wohlbefinden eine wichtige Rolle. Fruchtbare Böden sind auf eine grosse Vielfalt von Kleinlebewesen angewiesen. Ökosysteme weisen eine hohe Stabilität auf, sie schützen vor Trockenheit, Überschwemmungen und Erosion. Nicht nur in Feuchtgebieten und Gewässern, sondern auch in Landwirtschaftsgebieten ist allerdings der Erhalt vieler Tier- und Pflanzenarten in Frage gestellt. Im Vergleich zum umliegenden Ausland ist die Artenvielfalt in der Schweiz sogar stärker gefährdet. «Der Biodiversität in der Schweiz geht es schlecht. Wir müssen jetzt schützen, was wir brauchen», mahnt der Anwalt der Artenvielfalt eindringlich. Aus seiner Sicht ist der Erhalt der Biodiversität nicht ein «Verhinderer» der landwirtschaftlichen Produktion, sondern die unabdingbare Grundlage dafür. Die Initiative lasse Raum für die nötige Lebensmittelproduktion und den Ausbau erneuerbarer Energien; sie sei notwendig, um eine Biodiversitätskrise abzuwenden und unsere Lebensgrundlage langfristig zu schützen. Dem Bund kommt gemäss Gesetzestext die Aufgabe zu, die zur Sicherung und Stärkung der Biodiversität erforderlichen Flächen, Mittel und Instrumente zur Verfügung zu stellen.Auch dem Schweizer Bauernverband (SBV) ist die Biodiversität wichtig, aber der Verfassungsartikel schiesse über das Ziel hinaus, ist die Einschätzung von Direktor Martin Rufer.

Qualität statt Quantität

Die Landwirtschaft habe in den vergangenen Jahren ihre Aufgaben erfüllt. Die Etappenziele der Agrarpolitik betreffend Ausdehnung der Biodiversitätsförderflächen (BFF) seien alle erreicht. 19 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche oder 190 000 Hektaren seien heute anerkannte BFF. Ziel der Initiative seien aber gemäss einer Medienmitteilung von Pro Natura 30 Prozent der Landesfläche. Anstatt auf eine Flächenausdehnung müsse man den Fokus vielmehr auf Qualität anstatt auf Quantität legen, fordert Rufer.

Noch mehr Vorschriften

Samuel Kessens ist Gemüsebauer in Oberwil-Lieli, produziert gemäss Demeter-Richtlinien und ist Mitglied der Denkwerkstatt Vision Landwirtschaft. Er hat auf seinem Betrieb viele Bäume und Sträucher angepflanzt, um die Biodiversität zu fördern. «Ich sehe die Biodiversität als festen Bestandteil der Nahrungsmittelproduktion», hielt er fest. Er versucht, verschiedene Kulturen zu kombinieren. Seine Produkte könne er gut über die Direktvermarktung verkaufen, aber der Absatz über Grosshändler, die stark auf äussere Qualität achten, sei heute noch kaum möglich. Jörg Büchi, Milchbauer im zürcherischen Elgg, wehrt sich vehement dagegen, dass immer noch mehr BFF ausgeschieden werden sollen und es immer noch mehr Vorschriften gibt. Teilweise verhinderten diese sogar die Biodiversität; zum Beispiel nimmt der Klappertopf in den Wiesen überhand, wenn gar nicht mehr gedüngt werden darf. «Die Bürokratie verkompliziert die Biodiversität», kritisierte Büchi. Auch gäbe es immer mehr Anforderungen, ohne dass dafür bezahlt werde. Anstatt Vorschriften wünscht er sich, dass der Landwirt mehr in Eigenverantwortung die Biodiversität fördern kann. «Biodiversität macht Spass», sagt er, aber er wolle nicht für alles ein Formular ausfüllen müssen.

Am Strickhof fand eine Podiumsdiskussion zur Biodiversitätsinitiative statt.
Am Strickhof fand eine Podiumsdiskussion zur Biodiversitätsinitiative statt.

Wer zahlt dafür?

«Wie viel Fläche bräuchte es zur Erhaltung der Biodiversität?», fragte der Moderator. «Es bräuchte eine Verdoppelung der jetzigen Fläche», sagte Raffael Ayé. «Führt das schlussendlich nicht dazu, dass mehr Menschen Hunger leiden?», war eine Frage aus dem jungen Publikum. «Biodiversität und Produktion sind kein Widerspruch», antwortete der Befürworter der Initiative. Ihm komme es aber nicht darauf an, eine bestimmte Anzahl Hektaren für Biodiversität auszuscheiden, sondern die Massnahmen an den Betrieb anzupassen. Bird Life arbeite mit Landwirten zusammen und zeige zudem, dass eine Artenvielfalt auf dem Hof nicht mit einem tiefen Einkommen einhergehen muss.

Es brauche aber Förderungen, um die Mehrarbeit zu entschädigen. Landwirt Kessens bestätigte dies. Während viele Gemüsebauern ihren Angestellten einen Stundenlohn von Fr. 14.50 zahlen, könne er 24 Franken geben. Für die Förderung der Biodiversität werden staatliche Förderungen von 400 Millionen Franken veranschlagt. «Unsere Lebensgrundlagen müssten uns dies wert sein», sagte Raffael Ayé. Es entspricht 0,5 Prozent der Bundesausgaben. Wenn man die Biodiversität jetzt nicht erhalte, dann werde eine spätere Korrektur, die in seinen Augen notwendig sein wird, nicht nur Millionen, sondern Milliarden kosten.

«Wer zahlt die 400 Millionen?», fragte jemand aus dem Publikum. Wird dieses Geld aus dem Landwirtschaftsbudget genommen? «Die Naturschutzarbeit soll unabhängig von den Direktzahlungen entlöhnt werden», sieht es Raffael Ayé. Fast 40 Prozent dieses Naturschutzgeldes fliesse dann in die Landwirtschaft zurück.

Ein Gleichgewicht finden

Der Direktor des SBV sieht die Gefahr der Initiative ähnlich wie Landwirt Büchi darin, dass dem Landwirt immer mehr vorgeschrieben wird. Man müsse dem Landwirt mehr Freiheit geben. Jedenfalls möchte Rufer keine Ausdehnung der bestehenden BFF von 190 000 Hektaren. Es gelte, die Qualität der BFF zu fördern. Dass der Ertrag auf BFF kleiner ist als auf konventionell bewirtschafteten Flächen, dürfte keine Frage sein. Es stellt sich vielmehr die Frage, wo sich ein Gleichgewicht zwischen Nahrungsmittelproduktion und Naturschutz einstellt.

Eine Landwirtschaft ohne Artenvielfalt trägt nicht zur sicheren Ernährung bei, aber falsch praktizierte Biodiversitätsförderung führt auch nicht zum Ziel. Der Erfolg dürfte von der Art der Umsetzung abhängen. Mit immer mehr Vorschriften wird sich die Biodiversität kaum sinnvoll in die landwirtschaftliche Produktion integrieren lassen.

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