Tierärztin Luzia Schweizer: Zwischen Praxis und Natur

Luzia Schweizer führt mit ihrem Mann in Gams eine Praxis für Klein- und Nutztiere und besucht ihre Patienten auf den Bauernhöfen. Ausgleich zur Arbeit findet die Tierärztin auf der Jagd.

Luzia Schweizer und ihr Mann Adrian haben vor knapp neun Jahren die Tierarztklinik in Gams übernommen.
Luzia Schweizer und ihr Mann Adrian haben vor knapp neun Jahren die Tierarztklinik in Gams übernommen.

Im Behandlungsraum der Tierarztpraxis von Luzia und Adrian Schweizer steht die hochträchtige Geiss Jacqueline. Die Konzentration zeichnet sich im Gesicht der Tierärztin ab, während sie vorsichtig versucht, das Geisslein im Mutterleib zu drehen. Dabei hält der Bauer seine Jacqueline fest und redet beruhigend auf sie ein. Kurze Zeit später verrät der Gesichtsausdruck der Geburtshelferin, dass der Eingriff erfolgreich abgeschlossen ist und der Weg auf die Welt für das Zicklein nun frei ist. Die werdende Mutter steht immer noch fest und ruhig auf allen Vieren. Nur ihr durchdringendes Meckern verrät ihren Schmerz, während sich das erste Geisslein, mithilfe der Tierärztin, aus dem Geburtskanal befreit. Ein Moment der Freude erfüllt die Menschen im Raum, als das neue Lebewesen vollständig geboren ist und seinen ersten Atemzug macht. Liebevoll beginnt die frischgebackene Mutter, ihr Neugeborenes abzulecken, um es von Fruchtwasser und Schleim zu befreien. Währenddessen fängt die Geiss erneut an zu pressen. Kurz darauf erblickt ein zweites Geisslein gesund und munter das Licht der Welt. Später, nachdem Mutter und Gitzi Zeit hatten, sich zu begrüssen, verlässt der Bauer mit dem Zwillingspärchen im Korb und der stolzen Jacqueline im Schlepptau die Arztpraxis.

Für Klein- und Nutztiere

Solche Momente sind für Luzia Schweizer die Höhepunkte in ihrem Berufsalltag. Die 43-jährige Bündnerin ist mit Leib und Seele Tierärztin. Ein Traum ging in Erfüllung, als sie 2015 mit ihrem Mann Adrian, ebenfalls Tierarzt, im Industriegebiet Felsbachriet in Gams die Tierarztpraxis Kreuzberg übernehmen konnte. Mit ihrem Team sorgt sie für das Wohlergehen ihrer tierischen Patienten sowie deren Besitzern. Luzia Schweizer kann mit Tieren genauso gut umgehen wie mit Menschen. Frauchen und Herrchen vertrauen ihr, wenn ihre vier- oder zweibeinigen Lieblinge, meistens Hunde und Katzen, manchmal auch Vögel und Nagetiere, ganz selten exotische Tiere wie Schildkröten, ärztliche Hilfe brauchen. Empfangen werden sie von einem jungen Team in einer schönen Praxis mit verschiedenen Behandlungsräumen, einem Operationssaal und einem Bereich, wo stationäre Patienten gesundgepflegt werden.

Neben Berufsausbildung, Erfahrung und Freude an der Arbeit helfen Diagnostikgeräte und ein modernes Labor zu erkennen, was den Tieren fehlt. «Es braucht ein breites Fachwissen und diagnostische Fähigkeiten, um Krankheiten bei Tieren zu erkennen. Tiere können ja nicht sprechen. Deshalb ist unsere Arbeit manchmal wie ein Puzzle», erklärt die Veterinärin. In der Praxis von Luzia Schweizer sind auch Nutztiere und Pferde willkommen. Oft ist die Behandlung hier einfacher als im heimischen Stall. Wenn ein stationärer Aufenthalt nötig ist, stehen im Gebäude nebenan abgetrennte Boxen zur Verfügung. Sonst ist die Tierärztin unterwegs im Werdenberg, nach Lienz, Wildhaus, Flums und bis nach Triesenberg im Fürstentum Liechtenstein. «Es gibt nicht viele Tierärzte in dieser Gegend. Deshalb ist unser Einsatzgebiet recht gross», erklärt sie. Beissen, treten und schlagen gehöre zu den Berufsrisiken bei der Arbeit mit Tieren. «Mit der Zeit lernt man, die Situation einzuschätzen und mit Tieren umzugehen. Tiere merken sofort, wenn man unsicher ist oder Angst vor ihnen hat. Entsprechend verhalten sie sich dann. Trotzdem kommt es ab und zu vor, dass man gebissen oder getreten wird. Ausser ein paar Kleinigkeiten hatte ich bisher aber immer Glück», sagt die Mutter von zwei Mädchen, der siebenjährigen Mara und der fünfjährigen Frida.

Konzentriert bringt die Tierärztin das ungeborene Geisslein in die richtige Position.
Konzentriert bringt die Tierärztin das ungeborene Geisslein in die richtige Position.

Wiederkäuen der Kühe

Wie viele Male käut eine Kuh am Tag wieder? Diese Frage dürfte wohl kaum einen Bauern beschäftigen. Luzia Schweizer dagegen schon. Sie machte daraus ein wissenschaftliches Thema und schrieb ihre Doktorarbeit mit dem Titel «Untersuchungen über das Fressen und Wiederkäuen von Kühen mithilfe eines Drucksensors im Halfter». Eine Woche lang verbrachte die Doktorandin im Stall mit dem Zählen von Wiederkauschlägen. Kaum etwas dürfte langweiliger gewesen sein als diese Recherche. Wären da nicht zwei Studenten gewesen, die sie dabei unterstützten – einer von ihnen Adrian, ihr zukünftiger Mann. Nach Abschluss des Studiums arbeitete die Bündnerin noch fünf Jahre im Tierspital Zürich und anschliessend in der Region Pfannenstiel. Ihr Mann Adrian sammelte nach seinem Studium in einer Tierarztpraxis in Chur Berufserfahrungen. Das junge Tierärztepaar hatte ein Ziel: eine eigene Tierarztpraxis. Der Traum ging in Erfüllung, als es die Nachfolge des pensionierten Gamser Tierarztes antreten konnte.

Der schönste Beruf der Welt

«Tierärztin ist der schönste Beruf, den es gibt», schwärmt Luzia Schweizer, und ihre strahlenden Augen bestätigen ihre Worte. «Sicher, wir haben eine grosse Verantwortung und oft hohe Präsenzzeiten. Doch dafür haben wir eine wundervolle Arbeit, weil wir die Möglichkeit haben, Tieren zu helfen und ihr Leiden zu lindern. Meist sind uns die Tierbesitzer dankbar», erzählt sie. Die Vielseitigkeit der Arbeit sorge zudem dafür, dass kein Tag wie der andere sei. Es brauche aber viel Feingefühl und Empathie für diesen Beruf. Man sollte etwas robust sein, sich nicht ekeln und nicht zu empfindlich sein, wenn man schmutzig wird, rät die Veterinärin, für die schon als Kind kein anderer Beruf infrage kam. Ihre Eltern führten ein Hotel in der Lenzerheide. Obwohl sie weder ihre Tochter noch ihren jüngeren Sohn je drängten, dürften sie doch insgeheim gehofft haben, eines ihrer Kinder würde später in ihre Fussstapfen treten. Ihre Tochter half zwar mit im Gastrobetrieb, wenn sie gebraucht wurde, verbrachte aber jede freie Minute auf einem Bauernhof in der Nachbarschaft. Als sie das erste Mal als kleines Mädchen mit ihrem Vater im Bündnerland auf die Jagd durfte und zusah, wie er das Wildtier aufbrach, wollte sie bei jedem Organ genau wissen, was es ist. Spätestens da war für den Hotelier klar: Aus seiner Tochter wird einmal eine Tierärztin.

Luzia Schweizer ist mit Leib und Seele Tierärztin. In der Praxis gibt es verschiedene Behandlungsräume.
Luzia Schweizer ist mit Leib und Seele Tierärztin. In der Praxis gibt es verschiedene Behandlungsräume.

Zum Ausgleich auf die Jagd

Nicht selten entscheidet Luzia Schweizer über Leben und Tod. Die Tierärztin ist sich ihrer Verantwortung bewusst. Ein respektvoller Umgang mit Mensch und Tier ist ihr wichtig. Seit ihrer Kindheit liebt sie die Jagd. Für die Veterinärin ist es ein wundervoller Ausgleich zur Arbeit. Meist ist sie alleine mit ihrem Hund im Gamser Jagdrevier unterwegs. Im Wald und in der Natur kann sie abschalten, die Ruhe geniessen, den Vögeln zuhören und ihre Gedanken sammeln.

Für die geübte Jägerin ist es wichtig, einen sicheren Schuss anzubringen. Im Gegensatz zu weitverbreiteten Vorurteilen gelten auf der Jagd Gesetze und ethische Grundsätze. Die Jägerinnen und Jäger sind bestrebt, das Wild treffsicher zu erlegen. «Auf der Jagd muss man überlegen, ob man schiesst, und 100 Prozent dahinterstehen. Man kann den Schuss ja nicht zurücknehmen», sagt die Jägerin überzeugt. Wichtig sei ihr die Ehrfurcht vor dem Tier, auch wenn es tot ist. «Ein schöner Ausdruck des Respekts ist der Brauch des «letzten Bissen», des Zweigs, den der Jäger dem erlegten Wild ins Maul legt.»

Tierärztin ist der schönste Beruf, den es gibt.

 

Luzia Schweizer zusammen mit ihrem Hund auf der Jagd. Bild: zVg.
Luzia Schweizer zusammen mit ihrem Hund auf der Jagd. Bild: zVg.

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