«Unsere Älpler leisten grossartige Arbeit»

Sven Baumgartner ist Herdenschutzverantwortlicher im Kanton St. Gallen und Alpmeister auf der Ziegenalp Malschüel. Der Praktiker befürchtet diesen Sommer vermehrt Wolfsangriffe auf Rinderherden. Die Belastung für Alppersonal und -verantwortliche ist hoch, doch kampflos will Baumgartner keine Alp aufgeben.

Herr Baumgartner, wie haben Sie den letzten Winter in Bezug auf die Wolfspräsenz erlebt?

Sven Baumgartner: Wir hatten Wildtierrisse, teils in Siedlungsnähe, und Sichtungen von Wölfen in Dorfregionen. Doch der Winter war eher ruhig. Jetzt mit Beginn der Weidesaison wird dies wohl ändern.

Gerissene Schafe im Linthgebiet haben für Aufsehen gesorgt.

Baumgartner: Das ist richtig, ich war vor Ort. Der Besitzer der Schafe hatte alles richtig gemacht, der Herdenschutz war gewährleistet. Der Verdacht, dass es sich um einen Hund und nicht um einen Wolf gehandelt hat, wurde bestätigt.

Was bedeutet das?

Baumgartner: Wäre es ein Wolf gewesen, würden die Schafsrisse entschädigt. Da es ein Hund war, muss sich der Hundebesitzer melden, ansonsten bekommt der Leidtragende keine Entschädigung. Es wurde nun eine Anzeige gegen unbekannt gemacht.

Sven Baumgartner sagt, dass Älpler sich diesen Sommer gegen mehr Wölfe wappnen müssen. Bild: Corina Blöchlinger-Dürst
Sven Baumgartner sagt, dass Älpler sich diesen Sommer gegen mehr Wölfe wappnen müssen. Bild: Corina Blöchlinger-Dürst

Sie sagen: «Der Herdenschutz war gewährleistet», trotzdem kam es zu Rissen, wie ist das zu verstehen?

Baumgartner: Der Herdenschutz ist nach Bafu gewährleistet, wenn Schafe und Ziegen fachgerecht eingezäunt sind mit vier Litzen oder einem Netz in der Höhe von 90 Zentimetern und mindestens 3000 Volt Strom durch den Zaun fliessen. Ich persönlich rate dazu, nur Netze zu verwenden, sie sind effektiver. Im Fall Linthgebiet waren die Schafe mit Netzen eingezäunt. Es ist nicht eine Absicherung, dass es dann zu keinem Riss kommt. Doch der Tierhalter hat sein Bestmögliches getan, um seine Tiere zu schützen. Umgesetzter Herdenschutz bedeutet nicht, dass keine Risse mehr möglich sind, sondern dass alles versucht wurde, um möglichst wenig Risse zu haben.

Wie ist bisher die Situation auf den St. Galler Alpen?

Baumgartner: Ich will betonen: Unsere Alpverantwortlichen und ihr Personal sind sehr bemüht. Sie investieren viel, zäunen in gefährlichem, fast unmöglichem Gelände. Im Kanton haben wir keine nicht zumutbar schützbare Alp, sondern nur einzelne Teilflächen. Es wurden Weidesysteme umgestellt und mögliche Lösungen erarbeitet. Wir unterstützen, wo wir können, und ich schätze im Kanton die gute Zusammenarbeit zwischen Älplern, Tierbesitzern, Jagd und Herdenschutz. Kommt es zu einem Riss, bin ich so schnell vor Ort wie nur möglich.

Wogegen müssen sich Älplerinnen und Älpler im Sommer wappnen?

Baumgartner: Mehr Wölfe. Je besser wir unsere Schafe und Ziegen schützen, desto eher werden Wölfe auf Tiere ausweichen, die nicht geschützt sind, und das sind die Rinder. Ich rechne daher vermehrt mit Übergriffen auf Rinderherden, und da ist für mich nicht einmal der Riss selbst das grösste Problem.

Was dann?

Baumgartner: Rinder verhalten sich bei Gefahr anders als Kleinwiederkäuer. Meine grössten Be-fürchtungen sind Rinderherden, die durchdrehen werden und deswegen verunfallen oder im schlimmsten Fall die eigenen Älpler oder Touristen attackieren.

Was können Älplerinnen und Älpler unternehmen, um Risse bei Rinderherden zu verhindern?

Baumgartner: Nichts, und das ist das Zermürbende. Rinder gelten als nicht zumutbar schützbar. Die Situation ist weder für Personal, Landwirte noch für uns vom Herdenschutz befriedigend. Als Älpler kann ich nur abwarten, bis es zu einem Riss kommt.

Wie bereitet sich die Fachstelle Herdenschutz auf den Sommer vor?

Baumgartner: Bis am 15. Mai können sich Alpverantwortliche bei mir melden, die zusätzliche Unterstützung, sogenannte Hirtenhilfe, auf ihren Alpen für den Herdenschutz benötigen. Anschliessend werde ich ein Budget beim Bund beantragen, damit wir diese Hirtenhilfen entschädigen können. Es braucht Anstellungsverträge und wir werden für Helfer, die wenig oder gar keine Alperfahrung haben, einen Crash-Kurs organisieren.

Wenn nun eine Alp keine Hirtenhilfe beantragt und mitten im Sommer feststellt, dass doch zusätzliche Hilfe nötig ist?

Baumgartner: Wir sind dabei, eine freiwillige Helfergruppe zusammenzustellen, genau für solche Fälle. Ziel ist es, in allen Regionen des Kantons Freiwillige auf Pikett zu haben, die innerhalb kürzester Zeit einsatzbereit sind, um Hirten bei Wolfspräsenz zu unterstützen.

Sie sind Alpverantwortlicher der Ziegenalp Malschüel. Wie haben Sie auf Malschüel den Herdenschutz umgesetzt?

Baumgartner: Auf Malschüel sömmern wir 350 Milchziegen. Aufgrund der Wolfsproblematik haben wir eine Person zusätzlich angestellt. Sie ist vor allem mit Ausmähen und Umstecken der Netze beschäftigt. Für unsere Nachtweiden haben wir in 50 Netze à 50 Meter investiert. Aufgrund des Wolfes haben wir höhere Lohn- und Materialausgaben, die Einnahmen sind aber dieselben wie in den Jahren zuvor. Das geht vielen Alpen so und ist ein nicht zu unterschätzendes Problem.

Sven Baumgartner empfiehlt den Einsatz von Netzen für einen effizienten Herdenschutz. Bild: zVg.
Sven Baumgartner empfiehlt den Einsatz von Netzen für einen effizienten Herdenschutz. Bild: zVg.

Was belastet die Älpler am meisten in der Wolfsproblematik?

Baumgartner: Z’Alp geht man aus Überzeugung und Leidenschaft. Als Älpler ist es der grösste Stolz, wenn man im Herbst seine Tiere gesund und gut genährt wieder an die ur-sprünglichen Besitzer zurückgeben kann. Es sind das Leiden der verletzten Schafe, die Brutalität und vor allem die eigene Hilflosigkeit, die dem Alppersonal zusetzen.

Wie können Alpverantwortliche ihr Personal unterstützen?

Baumgartner: Ich empfehle für jede Alp eine Checkliste. Dort steht klar, was das Personal im Falle eines Wolfsrisses zu tun hat, und die Verantwortlichkeiten sind geregelt. Als Erstes ist der Alpmeister zu informieren. Wer bietet den Wildhüter auf? Wer informiert die Landwirte? Es darf nicht sein, dass Alpmeister und Landwirte über die (sozialen) Medien von einem Riss auf der eigenen Alp erfahren. Nach einer Wolfsattacke muss Unterstützung auf die Alp, damit Älpler ihre ursprüngliche Arbeit weiterhin ausführen können.

Was sind Ihre grössten Befürchtungen für diesen Sommer?

Baumgartner: Es darf nicht passieren, dass Älpler emotional so stark belastet werden, dass sie unter dem herrschenden Druck ihre Arbeit nicht mehr ausüben können. Solange wir tragbare Lösungen zusammen mit Alpverantwortlichen und -personal erarbeiten können, werden wir keine Alp kampflos aufgeben. Interview: Corina Blöchlinger-Dürst

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