Immer mehr trinkschwache Kälber

Immer öfter erhält die Tierärztin Monique Bisig aus Kaltbrunn Anrufe wegen Kälbern, welche die Nahrung verwehren. Ein Zustand, der vor allem Milchviehbetriebe betrifft. Das lässt sich aber durchaus ändern.

Tierärztin Monique Bisig kennt sich mit trinkschwachen Kälbern aus.
Tierärztin Monique Bisig kennt sich mit trinkschwachen Kälbern aus.

Die Situation kommt immer wieder vor. Das neugeborene Kalb trinkt nicht. Es verweigert jegliche Nahrung, und dies, obwohl es gesund ist, die Geburt gut verlief und es eigentlich keinen Grund für sein Benehmen gibt. «Solche Kälber werden oft als Trottel, sturer Bock oder als nicht überlebensfähig betitelt», weiss die Tierärztin Monique Bisig aus Kaltbrunn. Seit 20 Jahren beobachtet sie ein stetes Wachstum sogenannter trinkschwacher Kälber. Oft werde zu Selen und Eisen gegriffen, andere schmieren Honig auf den Nuggi. Mit mässigem Erfolg, wie Bisig bedenkt. «Was diesen Kälbern fehlt, ist Zuneigung und Geduld.»

Man dürfe nicht vergessen, dass es sich bei neugeborenen Kälbern um Säuglinge handle. In der Natur würden diese 24 Stunden von der Mutter umsorgt. «Die Kuh schleckt und stupst, aktiviert und muht. Auf diese Weise motiviert sie ihr Kalb zum Trinken.» In Milchviehbetrieben hingegen sorgt der Viehhalter dafür, dass das Kalb innert der nützlichen Frist die Kolostralmilch zu sich nimmt. Oft ist die Zeit dafür knapp, der Arbeitsdruck rund um den Hof immens. Ein Teufelskreis beginnt. Das Kalb ist überfordert, trinkt deshalb nicht, die Milch in der Flasche wird kalt, der Viehhalter ungeduldig, das Kalb spürt den Unmut, wird noch unsicherer, trinkt noch weniger. Im besseren Fall arrangiert es sich nach Tagen mit der Situation. Im schlechteren Fall aber treten körperliche Beschwerden wie Durchfall auf.

Den ganzen Missstand alleine der mangelnden Zeit zuzuschieben wäre aber zu einfach. Bisig bedenkt: «Oft ist es auch zu hektisch und zu laut im Stall.» Auch Platzmangel fördere den Stress für das Kalb sowie die Art und Weise, wie es geweckt wird. Neugeborene Kälber haben nämlich einen ausgeprägten Schlaf-Wach-Rhythmus.

Beim ersten Kennenlernen Distanz wahren. Nur reden.
Beim ersten Kennenlernen Distanz wahren. Nur reden.
Kurz darauf erhält das Kalb die Gelegenheit zu schnuppern.
Kurz darauf erhält das Kalb die Gelegenheit zu schnuppern.
Dann darf auch gestreichelt werden. Erst nur zärtlich.
Dann darf auch gestreichelt werden. Erst nur zärtlich.
Danach mit kräftigen Strichen. Wie es die Kuh mit der Zunge macht.
Danach mit kräftigen Strichen. Wie es die Kuh mit der Zunge macht.
Steht das Kalb, nur mit einer Hand arbeiten. Nabel streicheln.
Steht das Kalb, nur mit einer Hand arbeiten. Nabel streicheln.
Das Kalb sucht. Die Achselhöhle erinnert an die Kniefalte der Kuh.
Das Kalb sucht. Die Achselhöhle erinnert an die Kniefalte der Kuh.

Dem Instinkt auf der Spur

Bringt ein Landwirt ein trinkschwaches Kalb bei der Tierärztin vorbei, so sieht Monique Bisig den Frust dem Landwirt wie auch dem Kalb ins Gesicht geschrieben. Sie spricht gar von Suizid-Kälbern, da diese jegliche Lebensfreude verloren hätten. Das Rezept, um dem entgegenzuwirken, ist bestechend banal und besteht aus Zuneigung, Geduld und einer ordentlichen Portion Einfühlungsvermögen. Es gilt nämlich, den angeborenen Instinkt und so die Lebensgeister des Tieres zu wecken.

Die Kuh schleckt und stupst, aktiviert und muht. Das motiviert das Kalb.

Das Kalb kommt in eine grosse Box. Die Tierärztin setzt sich ans andere Ende der Box und redet erst mal nur mit ruhiger lieber Stimme. «Mit Kindern reden wir auch anders als mit Erwachsenen. Das sollten wir auch bei Kälbern so halten», bedenkt sie. Oft daure es gar nicht lange, bis das Kalb neugierig aufsteht und sich aus der Nähe ansieht, wer da mit ihm spricht. Nun gilt es, das Vertrauen zu gewinnen.

Die Hand im Hosensack

Wichtig zu beachten: Das Kalb nie in die Ecke drängen. Es soll den Schoppen freiwillig in den Mund nehmen. Zwang wirkt sich kontraproduktiv aus. Da der Mensch zum Festhalten neigt, rät sie, eine Hand in den Hosensack zu stecken und das Kalb nur einhändig zu streicheln und motivieren. Gerne streichelt sie auch dem Kalb den Nabel und spricht dabei. Ihre Achselhöhle bildet für das Kalb die Kniefalte der Kuh. «Es geht darum, dass wir dem Kalb so gut wie möglich sein natürliches Umfeld vermitteln. Alles, was die Kuh machen würde, tun auch wir.»

Zum Schoppen greift sie erst, wenn das Kalb den Mund zu dem typischen Dreieck formt, das es beim Trinken gibt. Nach erfolgreichem Trinken soll das Kalb gelobt werden. Auch darf es zum Spielen aufgefordert werden. Hüpfen und springen, kurz – «rumbocken» – ist erwünscht. Denn es soll lernen, dass trinken Spass macht.

Nach drei Tagen zum Tierarzt

Streikt das Kalb trotz aller Mühen, so rät Bisig, nach spätestens drei Tagen den Tierarzt anzurufen. Sie selber tränkt in ihrer Praxis längst nicht nur Kälber aus ihrem Kundenstamm. «Es hat sich vor allem in der Züchterszene herumgesprochen, dass ich trinkschwache Kälber zum Trinken motiviere», erzählt sie schmunzelnd. Obwohl diese Tiere nicht krank sind, daher eigentlich keinen Tierarzt brauchen, kümmert sie sich gerne um sie. «Mir tun die Kälber und die Viehhalter leid», so ihre Motivation. Das ist auch der Grund, weshalb sie an dieser Stelle ihre Tricks, um trinkschwachen Kälbern entgegenzuwirken, verrät. «Ich möchte, wo immer möglich, dieses Leid umgehen.»

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