Älplertreffen Plantahof – Hirten mit dem Wolf

Was geht einem Hirten durch den Kopf, wenn er einen Wolfsriss findet? Am Älplertreffen erzählten Betroffene von ihren Erlebnissen, frei von Politik und Urteilen. Man war sich einig, ein

Älplertreffen
Das wolfssichere Zäunen ist zeitaufwändig und kräftezehrend. Bild: Nef Schama

Der Andrang am Älplertreffen vom 7. Januar war enorm. So manch ein Gast erschrak über die vielen Menschen, welche sich im und vor dem Züchtersaal des Plantahofs versammelt hatten. Organisatorin Anna Sonnleithner bestätigte, dass noch nie so viele Leute anwesend waren. Ob es an der verstärkten Werbung, der Coronazwangspause, an den vielen offenen Alpstellen oder dem Thema der Podiumsdiskussion lag, kann nicht abschliessend beantwortet werden.

Networking unter Älplern

Rege werden Telefonnummern ausgetauscht. Ein Blick auf die überfüllten Pinnwände zeigt, es wird alles gesucht: Sennen, Hirten, Küher, Helfer, Haushälter. Auf der anderen Seite ist das Personalangebot sehr vielfältig, erfahrene Älplerinnen und Älpler wünschen neue Herausforderungen, Städter wollen Alpluft schnuppern und Neulinge suchen ihre Bestimmung in den Bergen.

Doch an das Plantahoftreffen kommt man nicht nur aus Personalgründen, erklärte der Älpler Fridli Jöhl. «Ich schätze den Austausch und die Diskussionen untereinander sehr», sagte er. «Hier bekomme ich viele neue Ideen und wir Älpler sind unter uns.»

Austauschen und nicht urteilen

«Als vor einigen Jahren die ersten Wölfe in die Schweiz kamen, dachte ich, die bringen uns die Hirten zurück. Heute frage ich mich, ob die Wölfe nicht die Hirten vertreiben.» Mit diesen Worten eröffnete Giorgio Hösli die Podiumsdikussion «Hirten unter Druck – Hüten mit dem Wolf». Sogleich herrschte Stille im Saal, alle Augen waren nach vorne gerichtet. Die Stimmung war ernst, aber nicht emotionsgeladen. Man spürte, hier ist man unter Gleichgesinnten und kann offen sprechen. Gleichzeitig sollen Regeln eingehalten werden. Dafür sorgte Moderator Kaspar Schuler, Geschäftsführer der Internationalen Alpenschutzkommission CIPRA mit Sitz in Schaan und ehemaliger Älpler. «Wir sind nicht hier, um zu politisieren, über Falsch oder Richtig, Abschuss oder Überleben zu urteilen. Wir wollen einen Austausch unter Hirten, wie wir mit der Situation Wolf auf Schafalpen umgehen.» Klare Worte, die von jedem Anwesenden respektiert wurden.

Älplertreffen
Die Älpler schätzen den Austausch unter Gleichgesinnten am Älplertreffen Plantahof.

Teuflische Medien

Es sei schwierig gewesen, überhaupt Betroffene zu finden, die sich öffentlich zum Thema äussern wollen. Schuld daran seien unter anderem auch die Medien. Hungrig (wie Wölfe?), stürzten sich Journalisten während des Sommers immer wieder auf betroffene Hirte und veröffentlichten Schlagzeilen, obwohl sie selbst nie einen Fuss auf Sömmerungsgebiet gesetzt hatten, geschweige denn eine Ahnung davon hatten, wovon sie überhaupt schrieben.

Keine Zeit für Emotionen

Wanda Segginger war im Calancatal als Schafhirtin angestellt und verzeichnete bis Ende Sommer fünf bestätigte Wolfsrisse. Hirt Beni Seydel war auf einer Schafalp im Prättigau mit über 50 bestätigten Rissen. In einem sind sich die beiden Betroffenen einig: «In dem Moment, in dem du ein totes Tier findest, haben grosse Emotionen oder psychische Betroffenheit keinen Platz. Man hat schlicht keine Zeit für das tote Tier, denn jetzt beginnt erst die Arbeit.» Was so viel bedeutet wie verängstigte Schafe aus Netzen befreien, verletzte und verstiegene Tiere suchen und zur Herde zurückbringen, Wildhüter informieren, Fotos machen, Tiernummern erfassen, Tierhalter informieren. Ist man wie Wanda Segginger auf einer Alp ohne Empfang, kann die Administration zu einer zusätzlichen Herausforderung werden.

Zusätzliche Arbeitsbelastung

Schama Nef, Alpmeister auf der Nachbarsalp von Beni Seydel erläuterte die Situation aus seiner Perspektive. 250 Netze hatten seine Hirtin, Helfer und er im Frühling gestellt, trotzdem kam es zu Rissen. Die zusätzlichen Arbeitsstunden sind enorm und können nicht nur von den Hirten bewältigt werden. Nef brachte es auf den Punkt: «Die Hirten haben genug Arbeit damit, sich um das Wohl der Schafe zu kümmern. Wir können nicht auch noch von ihnen verlangen, dass sie Zaunmaterial schleppen, neue Zäune stellen und Nachtpferche aufbauen. Dazu braucht es zusätzliches Personal».

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Hirt Seydel Beni investierte mehrere Stunden in die Planung für den Alpsommer 2023.

 Stress für die Tiere

Bei wenigen Rissen scheinen die Schafe ruhig zu bleiben. Im Fall von Beni Seydel standen Schafe und Hunde jedoch gegen Ende der Alpsaison unter Dauerstress und es wurde schwierig, mit der Herde zu arbeiten. Die Schafe waren unruhig, immer in Bewegung, blickten umher und wenn sich die Hütehunde näherten, versprangen die verängstigten Tiere. Die Hunde waren völlig ausgepowert. Obwohl die Hirten inmitten der Schafe übernachteten, kam es gegen Ende Alpsaison fast täglich zu Rissen. Schliesslich beschloss man, zwei Wochen früher abzufahren.

 Planen und analysieren

«Dieser Entschluss war nicht einfach zu akzeptieren, heute weiss ich aber, dass es die richtige Entscheidung war», erklärt Beni Seydel. Trotz des Erlebten werden er und Wanda Segginger den kommenden Sommer wieder auf denselben Alpen verbringen, mit dem Unterschied, dass sie schon einiges mehr an Vorwissen mitbringen. So nutzte Beni Seydel die Wintermonate, um eine detaillierte Karte «seiner» Schafalp zu erstellen. Er analysierte die Risse und Schwachstellen in den Zäunen, plant neue Weiden, Zäune, Nachtkoppeln und Netzdepots. Zusätzliche Arbeitsstunden wurden versucht zu berechnen, weiteres Personal wird wohl nötig sein. Diese Planung war für ihn auch ein wertvolles Verarbeiten des letzten Alpsommers. «Wir Hirten können die Politik und die Wolfssituation nicht ändern, doch wir können aus unseren Erfahrungen zu lernen», sagte er.

Nächstes Mal schon im Herbst 

Zum letzten Mal findet der Älplertreff Plantahof im Januar statt: «Die Stellensuche hat sich in den letzten Jahren nach vorne verschoben. Alpmeister beginnen heute bereits im Herbst mit der Suche nach neuem Personal. Diesem Trend wollen wir entgegenkommen», erklärt Giorgio Hösli von der IG Alp. Aus diesem Grund wird für die Alpsaison 2024 der Älplertreff bereits am 25. November 2023 stattfinden.    cbd

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