Zimmermann Ingo Kunze liebt seinen Beruf

Ingo Kunze hat Zimmermann gelernt und stammt aus Deutschland. Als 21-Jähriger ging er auf die Walz und bekam auf seiner Wanderschaft auch eine Arbeit im st.gallischen Schwarzenbach. Hier wurde er sesshaft und hat vor 30 Jahren einen eigenen Zimmereibetrieb gegründet.

Zimmermann Ingo Kunze arbeitet noch immer jeden Tag in seiner Werkstatt in Schwarzenbach.
Zimmermann Ingo Kunze arbeitet noch immer jeden Tag in seiner Werkstatt in Schwarzenbach.

«Holz ist mein Leben. Holz ist der schönste Baustoff, den es überhaupt gibt. Ein wahrer Handschmeichler – warm, trocken und vielseitig verwendbar», erzählt Ingo Kunze während er mit seiner Hand fast schon liebevoll über eine Fichtenholzlatte streicht. Ingo Kunze ist gelernter Zimmermann. Als 21-Jähriger hat er sich von seinem Heimatdorf Godshorn aus, das in der Nähe der norddeutschen Stadt Hannover liegt, auf Gesellenwanderschaft gemacht. Insgesamt war er vier Jahre auf der Walz, von 1968 bis 1972. Vor mehr als fünf Jahrzehnten kam er dann von Deutschland nach Schwarzenbach, wo er seither ununterbrochen lebt.

Wie es eine jahrhundertealte Tradition beschreibt, gehen Zimmerleute drei Jahre und einen Tag lang auf die Walz, zu Fuss und per Autostopp von einem Arbeitsplatz zum andern. Diese Tradition sei allerdings freiwillig, erklärt Ingo Kunze und ergänzt, dass während der Gesellenwanderschaft ein Radius von 50 Kilometern um seinen Heimatort nicht betreten werden dürfe. Zu jener Zeit habe Hochkonjunktur geherrscht. Es gab eine hohe Güternachfrage und die Produktionskapazitäten der Unternehmen waren voll ausgelastet. «Ich fand deshalb immer problemlos einen Arbeitsplatz als Zimmermann», sagt Ingo Kunze. Auf der Walz habe ihn nie das Heimweh eingeholt, ganz im Gegenteil: «Mich packte immer das Fernweh.» Nach Abschluss seiner Wanderjahre und einer Weiterbildung zum Zimmermeister arbeitete Ingo Kunze in der Zimmerei Hans Rutz in Schwarzenbach. Im Jahre 1993 machte er sich dann selbstständig und gründete einen eigenen Zimmereibetrieb. Diesen Betrieb gab er vor elf Jahren in jüngere Hände, nämlich an Rainer Hug.

Ingo Kunze hat einen Zimmermann auf der Walz geschnitzt. Schnitzen ist sein Hobby.
Ingo Kunze hat einen Zimmermann auf der Walz geschnitzt. Schnitzen ist sein Hobby.

Entsorgung des Abfalls

Ingo Kunze erzählt, dass Zimmermann sein absoluter Traumberuf sei. Er sei immer mit Freude zur Arbeit gegangen und arbeite heute noch jeden Tag in seiner Werkstatt. Besonders gerne habe er alte Häuser saniert und zudem schon immer eine Vorliebe für antike Gegenstände gehabt. Ein altes Haus sei wie eine Wundertüte. «Man wusste nie, was zum Vorschein kommt.» Bei der Sanierung der Räume seien die Zimmerleute oftmals zufälligerweise auf wichtige Dokumente oder Rechnungen gestossen, beispielsweise unter den Tragbalken der Stubendecke. In Zwischendecken und Dachverkleidungen seien verschiedentlich sogar Gegenstände gefunden worden, die dort entsorgt wurden. Ganz nach dem Motto: Aus den Augen, aus dem Sinn. Dies seien vermutlich die gängigsten Abfallentsorgungsstellen des 17. und 18. Jahrhunderts gewesen. «Wir sind dabei auf alten Hausrat gestossen, zum Beispiel auf Kleider, Schuhe oder kaputtes Geschirr.» Ingo Kunze erinnert sich an eine Knechtkammer, die er in einem über 100-jährigen Haus renoviert hatte. Nachdem die Türe rausgebrochen war, kam in der Wand eine alte 100er-Note zum Vorschein. «Der arme Kerl, der hier logiert haben muss, hatte vermutlich sein Geld dort versteckt.» Mit Zeitungen seien einst auch Wände isoliert und Ritzen vor Zugluft gestopft worden. Nachdem man die Tapeten abgekratzt hatte, seien dahinter manchmal auch aufwendige Wandmalereien zum Vorschein gekommen. «Es war immer eine besondere Herausforderung, alte Häuser so zu sanieren und modernisieren, dass die einstige Optik erhalten blieb.» Gefragt danach, ob denn Sanierungsarbeiten in Altbauten nicht mit Risiken verbunden seien, etwa das Hantieren mit alten Stromkabeln oder gefährlichen Materialien wie giftiger Farbe und Asbest, sagt Ingo Kunze: «In den zum Teil 500 oder 600 Jahre alten Häusern, die wir saniert haben, wurden noch gar keine asbesthaltigen Materialien verwendet. Stromkabel sind durch den Elektriker entfernt worden. Wir Zimmerleute haben nur Holzarbeiten ausgeführt.»

Traditionelle Arbeitskleidung

Augenfällig ist, dass Ingo Kunze in seiner Zimmermannskluft arbeitet, die aus schwarzem robustem Cord besteht. «Das ist mein Berufsstolz, ich trage sie an sechs Tagen in der Woche.» Die Handwerker könne man heute gar nicht mehr unterscheiden, denn kaum einer trage noch eine Kluft. In Norddeutschland sei es jedoch üblich, dass nebst Zimmerleuten auch Handwerker anderer Berufsgattungen in ihrer entsprechenden Kluft arbeiten. Die Kluft ist die traditionelle Bekleidung eines Handwerksgesellen, insbesondere der Wandergesellen während der Walz. Die Farbe der Kluft ist je nach Beruf unterschiedlich, bei Holzberufen ist sie schwarz. Ingo Kunze erklärt, dass die Zimmermannsweste vorne mit acht weissen Perlmuttknöpfen bestückt sei. Die acht Knöpfe symbolisieren den Acht-Stunden-Arbeitstag und sind so angenäht, dass das Garn den Buchstaben «Z» für Zimmermann bildet. An der Jacke, passend zur Weste, sind sechs Perlmuttknöpfe angenäht. Sie versinnbildlichen sechs Arbeitstage die Woche.

Die Perlmuttknöpfe sind so angenäht, dass das Garn den Buchstaben «Z» (für Zimmermann) bildet.
Die Perlmuttknöpfe sind so angenäht, dass das Garn den Buchstaben «Z» (für Zimmermann) bildet.

Der 76-jährige Ingo Kunze übt seinen Beruf noch immer mit viel Leidenschaft aus. Vor fünf Jahren sei ein Jugendtraum von ihm in Erfüllung gegangen. Er habe schon immer davon geträumt, einen Zigeunerwagen für sich zu bauen. Es sei purer Zufall gewesen, dass er dazumal auf einen Schweizer Munitionsanhänger aus dem Ersten Weltkrieg gestossen sei. Weitere solche Anhänger habe er dann über ein Inserat im «St. Galler Bauer» gefunden, erklärt er. Seither baut der gebürtige Deutsche diese vorwiegend zu Gartenhäuschen um, aber auch zu Hühnerställen. Diese Munitionsanhänger mit Holzrädern seien im Krieg von Haflinger-Pferden gezogen worden. Mittlerweile hat Ingo Kunze fünf solcher Anhänger umgebaut, das sechste Häuschen werde er demnächst in Angriff nehmen. Rund 150 Arbeitsstunden stecken in einem solchen Anhängerumbau.

Immer mehr Überschneidungen

War das weibliche Pendant zum Zimmermann früher noch selten, gäbe es inzwischen immer mehr Zimmerinnen, weiss Ingo Kunze. Einst hätten die anstrengenden Tätigkeiten ein hohes Mass an Körperkraft abverlangt, alles sei von Hand gemacht worden. Heute könne ein Kran eingesetzt werden als mobile Hilfskraft für Lasten auf Baustellen. Den Zimmerleuten oblag es dereinst, unter anderem die Holzkonstruktionen wie Dachstühle und Treppen zu bauen, während die Schreiner zuständig waren für den Innenausbau und die Feinarbeiten, erklärt der 76-Jährige. Zwischen beiden Handwerksberufen gäbe es zwar noch Unterschiede, aber auch immer mehr Überschneidungen. «Ein Zimmermann macht heute auch Innenausbauarbeiten wie Wandverkleidungen, Fussböden und Holzdecken.»

Ingo Kunze bezeichnet sich selbst als Zigeuner. Zusammen mit seiner Frau Mirjam, die als Restaurations-Vergolderin und -Malerin arbeitet, gehe er regelmässig mit dem Rucksack in ferne Länder. Ingo Kunze hat zwei erwachsene Töchter. Diese sind beruflich jedoch nicht in die Fussstapfen ihrer Eltern getreten. «Susanne arbeitet als Wissenschaftlerin, sie hat Biochemie studiert und Janine ist Lehrerin.» 2015 ging Ingo Kunze nochmals für sechs Wochen in der Zimmermannskluft auf die Walz. Es zog ihn ins Erzgebirge, in der einstigen DDR. «Wie vor 50 Jahren war ich per Autostopp unterwegs und habe keine fünf Minuten am Strassenrand gewartet.» Demnächst reist Ingo Kunze nach Ecuador, an der Westküste Südamerikas. Dort leistet er bereits zum 13. Mal Freiwilligenarbeit. Vor 14 Jahren habe er dort ein grosses Kirchendach repariert. Er helfe auch bei den Reparaturen und dem Aufbau von Häusern für die Ärmsten. Sein grösster Wunsch sei es, gesund zu bleiben. «Ich habe immer Projekte und eine ganz liebe Frau. Beides zusammen erhält mich jung.»

 

Einen Munitionsanhänger aus dem Ersten Weltkrieg hat Ingo Kunze zu einem Gartenhäuschen umgebaut.
Einen Munitionsanhänger aus dem Ersten Weltkrieg hat Ingo Kunze zu einem Gartenhäuschen umgebaut.

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