Sanfte Riesen und ihre Stigmen

Herdenschutzhunde werden aufgrund ihrer Funktion in einigen Kreisen als Positionierung pro Wolf angesehen. Entsprechend fehlen für sie wie ihre Halter oftmals Verständnis und Akzeptanz. Diesem Stigma wollen der WWF Ostschweiz und der St. Galler Bauernverband gemeinsam entgegenwirken.

Gemeinsamer Einsatz für die Herdenschutzhunde: Mathias Rüesch vom SGBV, Olivia und Martin Bernold sowie Mila Yong vom WWF (von links).
Gemeinsamer Einsatz für die Herdenschutzhunde: Mathias Rüesch vom SGBV, Olivia und Martin Bernold sowie Mila Yong vom WWF (von links).

Aufklärung und Sensibilisierung waren wohl das Gebot der Stunde, als Mila Yong und Mathias Rüesch gestern Dienstag die Medien in den Melser Baschär eingeladen haben. Sie, die Geschäftsleiterin des WWF Appenzell und Verantwortliche Biodiversität, Wildtiere und Landwirtschaft von WWF Ostschweiz, er, der Geschäftsführer des St. Galler Bauernverbands. Den Ort des Medientreffens wählte das ungleiche Paar nicht willkürlich, werden doch auf dem Hof von Martin und Olivia Bernold französische Pyrenäenberghunde zu Herdenschutzhunden ausgebildet.

Der Austausch an einer Grossraubtierveranstaltung habe den beiden gezeigt, dass die Thematik rund um den Herdenschutz für den Natur- und Umweltschutz wie für den Bauernverband an Bedeutung gewinne, erklärt Rüesch. Er spricht von einer Schnittstelle, die der WWF und der Verband beim Thema Herdenschutzhunde hätten. «Während der Sömmerungszeit haben die Tiere eine wichtige Aufgabe auf den Alpen», sagt Yong. Deren Bestossung sei auch essenziell für die Erhaltung der Alpbiodiversität – und gegen das Verwachsen. «Dass von einer Seite die Präsenz von Grossraubtieren mehr gewünscht ist als von der anderen, bringt uns zwar in unterschiedliche Ausgangslagen», räumt Rüesch ein. Yong ergänzt aber: «Es ist für beide Seiten klar, dass der Herdenschutzhund ein extrem wichtiger Bestandteil ist, um die Koexistenz mit dem Wolf überhaupt zu ermöglichen.»

Oftmals abgestempelt

Dass die Haltung von Herdenschutzhunden nicht unbedingt einem Zugeständnis pro Wolf gleichkommt, betonen Martin und Olivia Bernold. Seit die beiden vor sieben Jahren mit der Zucht und Ausbildung der Arbeitshunde begonnen haben, seien sie oftmals entsprechend abgestempelt oder gar angefeindet worden. Dabei haben eigene tragische Erlebnisse auf einer Alp im Weisstannental Bernolds erst dazu bewogen, Herdenschutzhunde anzuschaffen und sich schliesslich vom Verein Herdenschutz Schweiz als Ausbildnerin und Ausbildner zertifizieren zu lassen.

Die Erfahrungen der Melser zeigen, dass ein grosser Teil der Bevölkerung Angst vor Herdenschutzhunden hat. «Das ist zu einem Teil nachvollziehbar und berechtigt. Denn die Hunde sind gross, schwer und laut.» Oftmals rühre die Angst aber auch von Unwissenheit her. Ist die Akzeptanz während der Sömmerung auf den Alpen noch einigermassen da, schrumpft sie vor allem während der Wintermonate auf dem Heimbetrieb im Tal. Denn dort kommt es zu mehr Berührungspunkten mit der Bevölkerung. Martin Bernold: «Die Akzeptanz, so wie wir sie erwarten würden, fehlt.»

Ein Bild sagt mehr als tausend Worte: Wie vertraut das Verhältnis zwischen Herdenschutzhunden und Lämmern ist, zeigt dieses Beispiel.
Ein Bild sagt mehr als tausend Worte: Wie vertraut das Verhältnis zwischen Herdenschutzhunden und Lämmern ist, zeigt dieses Beispiel.

Den Schalter drehen

Dabei seien die Tiere missverstanden und liessen sich nicht in einen Topf werfen, da jeder Hund ein Individuum sei. «Sie alle reagieren anders auf den Kontakt mit Menschen», erklärt Bernold. Zudem gab Rüesch zu bedenken, dass die Hunde in den Wintermonaten ihrer eigentlichen Funktion und Aufgabe beraubt würden. «Sie müssen über drei, vier Monate auf den Alpen selbstständig arbeiten, fürs Territorium und die Herden schauen, müssen beschützen, den Wolf vertreiben und Wildtiere von den Nutztieren fernhalten. Zurück auf dem Heimbetrieb, müssen die Hunde ihren Schalter aber um 180 Grad drehen. Denn weder die Nachbarn, Velofahrerinnen, Spaziergänger, Sportlerinnen, Hundehalter oder Familien mit Kindern wollen bellende Hunde.»

Entsprechend will Yong das Verständnis auch in der breiten Bevölkerung stärken, dass es sich hier «nicht nur um normale Hofhunde» handelt, sondern um Tiere, die noch andere wichtige Aufgaben haben und darum in Alltagssituationen anders reagieren. Und Rüesch betont: «Klar ist der Herdenschutzhund nicht das Allheilmittel.» Aus der Sicht der Landwirtschaft brauche es einen ganzen Mix von Massnahmen, um mit dem Thema Wolf umgehen und den Herdenschutz effizient betreiben zu können. Nebst der Behirtung und Zäunen seien die Hunde aber der wichtigste Bestandteil.

Die Mutterschafe und ihre Lämmer geniessen die Sonnenstrahlen, unter ihnen sind die Herdenschutzhunde kaum bemerkbar. Bilder: Gianluca Volpe
Die Mutterschafe und ihre Lämmer geniessen die Sonnenstrahlen, unter ihnen sind die Herdenschutzhunde kaum bemerkbar. Bilder: Gianluca Volpe

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