Gut gepolstert

Bruno Ruf hat vor fünfeinhalb Jahrzehnten Polsterer gelernt. In Gossau führt er seine eigene Polsterei. Obwohl sich das Berufsbild in all den Jahren stark verändert hat, sind handwerkliches Geschick für spezielle und individuelle Anforderungen unerlässlich geblieben.

Bruno Ruf befestigt mit seiner Heftpistole eine Lederhülle.
Bruno Ruf befestigt mit seiner Heftpistole eine Lederhülle.

«Bring doch bitte deinen kaputten Polsterstuhl mit. Dann schaue ich, was wir machen können», sagt Bruno Ruf seiner Kundin am Telefon. Kaum jemand würde glauben, dass diese Handwerkskunst heute beinahe etwas in Vergessenheit geraten ist. Denn kurze Zeit später erfolgt bereits der nächste Anruf. Ganz schnell lässt sich feststellen, dass es sie immer noch gibt – jene Menschen, die ihre in die Jahre gekommenen Polstermöbel oder ihre antiken Stilmöbel von anno dazumal neu beziehen lassen möchten. Bruno Ruf ist gelernter Polsterer und führt an der Flawilerstrasse 57 in Gossau eine eigene Polsterei. Zuvor hatte er fast 40 Jahre lang sein Polstergeschäft in Arnegg. Obwohl der Beruf in den vergangenen Jahren stetigen Veränderungen und neuen Entwicklungen unterworfen war, sind auch heute noch für die Restaurierung von Möbelstücken ein hohes Mass an Kreativität sowie präzises Handwerk gleichermassen gefragt.

Traditionell mit Stoff bezogen

Bruno Ruf erzählt, dass er in Klingnau, einer Kleinstadt im Kanton Aargau, aufgewachsen sei. In der Nähe seines Elternhauses habe er in der Polstermöbelfabrik «de Sede AG» dann die dreijährige Ausbildung zum Polsterer gemacht. «Diese Firma gibt es übrigens immer noch», bemerkt er und ergänzt, dass in der Schweiz inzwischen Polstermöbelfabriken rar gesät seien. Vieles werde heutzutage im Ausland billiger hergestellt, bedauert er. So gäbe es auch bedeutend weniger Polsterer als früher. Zu betonen sei, dass die Firma «de Sede AG» bereits in den 1960er-Jahren Polstergarnituren aus Leder hergestellt hat. «Ein gewagtes Unterfangen», fügt Bruno Ruf an. Denn damals seien die meisten Polstergruppen traditionell noch mit Stoff bezogen worden. Für den James-Bond-Film «Im Geheimdienst Ihrer Majestät», der auf dem Schilthorn von Herbst 1968 bis im Frühjahr 1969 gedreht wurde, habe «de Sede AG» sogar exklusive Lederpolstergrup

Auch heute noch viel Handarbeit: die Utensilien, die Bruno Ruf für seine Arbeit als Polsterer benötigt.
Auch heute noch viel Handarbeit: die Utensilien, die Bruno Ruf für seine Arbeit als Polsterer benötigt.

pen produzieren können.

Liebhaberobjekt oder Erbstück

Heute würden Polstergarnituren kaum mehr neu überzogen. Eine Neuanschaffung komme meistens billiger als ein Neubezug. Oftmals sei es aber ein Liebhaberobjekt oder Erbstück aus der Verwandtschaft, das neu bezogen und allenfalls neu gepolstert würde. «Früher musste die Aussteuer zur Hochzeit ein Leben lang halten, so war es auch mit den Möbeln.» Um das Sofa zu schonen, sei es einst mit einer Wolldecke geschützt worden. Heute sei eine Couch ein alltäglicher Gebrauchsgegenstand und werde deshalb auch schneller ersetzt. Bruno Ruf zeigt auf eine Sitzschale, die zu einem Esszimmerstuhl gehört, und erklärt, dass er den abgegriffenen Kunstlederbezug durch einen echtledrigen ersetzen werde. Bei einem teuren Möbelstück lohne sich die Investition in einen neuen Bezug. Letztlich sei der Stuhl erst vor vier Jahren gekauft worden. Zu seiner Kundschaft würden eher ältere Leute zählen. Es gäbe aber auch Junge, die durch Mund-zu-Mund-Propaganda den Weg zu Bruno Ruf fänden. Grundsätzlich seien die meisten aber langjährige Kunden.

Seegras als Polstermaterial

Früher habe er öfters Pferdekutschen und Louis-Philippe-Sofas neu gepolstert und mit Stoff oder Leder bezogen, erinnert sich der Polsterer. Traditionell seien einst Rosshaare und Stahlfedern zum Polstern verwendet worden. Schaumstoff habe das Rosshaar aber weitgehend verdrängt. Schaumstoff ermögliche ein einfaches und flexibles Verarbeiten, denn es gibt verschiedene Schaumstoffqualitäten. «Die Polsterung bestand einst aus mehreren Jutegurten, auf welche die Stahlfedern von Hand angenäht und verschnürt wurden. Darauf wurde ein Stück Jutestoff gespannt. Auf diesen Stoff kam anschliessend eine dicke Schicht getrocknetes Seegras, das als Polsterfüllmaterial verwendet wurde. Darüber wurde wieder ein Stück Jutestoff gespannt und dann noch eine Lage Rosshaar aufgetragen, um eine Oberflächenweichheit zu erlangen. Hernach wurde das Polster mit einem weissen Baumwollstoff und abschliessend mit einem Möbelstoff bezogen.» Getrocknetes Seegras fand als Polstermaterial Verwendung, weil es billiger als Rosshaar war. Seegras wächst vor allem in warmem Gewässer und bei viel Sonne. Rosshaar wird gewonnen, indem die Schweif- und Mähnenhaare der Pferde ausgekämmt werden. Rosshaar wächst immer wieder nach.

Claudia Gerschwiler näht einen Lederbezug mit der Maschine zusammen.
Claudia Gerschwiler näht einen Lederbezug mit der Maschine zusammen.

Während seiner Lehrzeit habe er im Stundenlohn gearbeitet, erinnert sich Bruno Ruf. 40 Rappen in der Stunde habe er damals verdient. Der Polsterhammer sei dazumal ein wichtiges Werkzeug gewesen. Dieser wurde zum Einschlagen von Polsternägeln, den sogenannten Pastnägeln, zum Befestigen der Stoffe verwendet. Da die kleinen Nägel nur schwer mit den Fingern zu halten sind, wurden die Polsterhämmer magnetisiert. Bruno Ruf lacht und sagt: «Ab und zu gab es halt einen kaputten Zahn. Denn die einzuschlagenden Polsternägel hat man zwischen die Zähne genommen, da die Hände mit Werkzeug und Stoff beschäftigt waren. Dank dem magnetischen Hammer konnten die Nägel so problemlos einen um den anderen angebracht werden.» Heute werde für die gleichen Arbeiten eine Heftpistole verwendet.

Alles, was ein Polster hat

Früher sei das Handwerk des Polsterns äusserst zeitaufwendig und reine Handarbeit gewesen. Moderne Technologien und automatisierte Fertigungsprozesse würden heute eine effizientere Produktion ermöglichen. In der Industrie könnten beispielsweise Materialfehler im Leder maschinell entdeckt werden. In der Werkstatt von Bruno Ruf wird allerdings nach wie vor noch vieles von Hand gemacht. Er nimmt ein Stück Leder zur Hand und sucht nach allfälligen Materialfehlern, die er dann mit einer Schneiderkreide bezeichnet, denn fehlerhaftes Material wird ausgeschieden.

Im Raum nebenan rattert eine Nähmaschine. Claudia Gerschwiler näht dort einen Lederbezug zusammen. Seit über 20 Jahren arbeitet sie Teilzeit in der Polsterei.

Bruno Ruf bei der Arbeit in seiner Polsterei. Mit einer Schneiderkreide zeichnet er das Schnittmuster auf ein Stück Leder.
Bruno Ruf bei der Arbeit in seiner Polsterei. Mit einer Schneiderkreide zeichnet er das Schnittmuster auf ein Stück Leder.

Bruno Ruf bezieht alles, was ein Polster hat. Auch werden Polster nach Kundenwünschen hergestellt. Die Möbelstücke können mit verschiedenen Materialien bezogen werden, wie Alcantara, Leder, Kunstleder, Fell und Möbelstoffen aller Art. «Ich schätze diese Vielfalt und die Abwechslung. Kein Möbelstück ist wie das andere. Meine Arbeit hier im Geschäft ist für mich ein wichtiger Lebensinhalt, der mir immer noch Spass macht. Da ich eigentlich pensioniert wäre, muss ich auch nicht mehr unter Druck arbeiten. Für mich ist mein Beruf inzwischen zum Hobby geworden. Es ist einfach immer wieder schön, das fertige Produkt und den zufriedenen Kunden zu sehen. So lange meine Gesundheit mitmacht, arbeite ich mit viel Freude weiter», sagt Bruno Ruf mit Überzeugung in der Stimme und nimmt dabei die Schere in die Hand.

Mit dem magnetischen Polsterhammer wurden früher die sogenannten Pastnägel eingeschlagen.
Mit dem magnetischen Polsterhammer wurden früher die sogenannten Pastnägel eingeschlagen.

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