Fredi Koller – ein begnadeter «Heimweh»-Sänger

Fredi Koller aus dem thurgauischen Alterswilen ist die Bassstimme des Mundart-Männerchors Heimweh. Der 63-jährige Sänger und Dachdecker hat schon einige Höhen und Tiefen erlebt. Schicksalsschläge haben ihn und seine Familie zusammengeschweisst.

Fredi Koller zeigt seine Tattoos – «My Love My Family» sowie «My Life Rock 'n' Roll».
Fredi Koller zeigt seine Tattoos – «My Love My Family» sowie «My Life Rock ’n‘ Roll».

«Irgend einisch chunt dä Tag, wo mir all werdit ga. Wenn die Ziit dä isch cho und ich üch mues verlah – müend nid truuren um mich. Ich bi immer no da», trägt Fredi Koller leise vor. Dabei wirkt er fast ein wenig melancholisch. Was der 63-Jährige hier schildert, ist ein Ausschnitt aus seinem Lieblingslied «Vom Gipfel is Tal» – aber auch der Titel des «Heimweh»-Albums aus dem Jahre 2018. Fredi Koller aus Alterswilen ist leidenschaftlicher Sänger des Schweizer Mundart-Männerchors Heimweh. Was im «Vom Gipfel is Tal» besungen wird, scheint auf den Thurgauer Sänger zugeschnitten zu sein. Fredi Koller hat schon einige Höhen und Tiefen erlebt und ist dem Tod bereits mehrmals von der Schippe gesprungen. Er hat erfahren, dass Freud und Leid nahe beieinander liegen, aber auch, dass nach jedem Gewitter die Sonne wieder scheint.

Auch die Lieder der «Heimweh»-Sänger führen durch Höhen und Tiefen, vom Wunsch nach Liebe, Heimat und einer Familie. Sie lassen in Erinnerungen schwelgen, wecken Emotionen, sorgen für Gänsehautfeeling und können manchmal zu Tränen rühren. Kurzum: Sie sind tiefgründig und treffen mitten ins Herz. Wenn der erfolgreichste Männerchor der Schweiz auf der Bühne steht, bleibt wohl keine Menschenseele unberührt. Facettenreich und stimmgewaltig präsentieren die «Heimweh»-Sänger ihre tiefsinnigen Lieder und erzählen jeweils ihre bewegenden, persönlichen Geschichten dazu. So steht Fredi Koller auf der diesjährigen Konzerttournee vor dem Publikum und erzählt unter anderem, dass ihn der Friedhofsgärtner einst aus dem «Gülle-Loch» gerettet hat.

Deckel ist eingebrochen

Fredi Koller mag sich nur noch flüchtig daran erinnern. Etwa vier Jahre alt war er damals. Der Deckel des «Gülle-Lochs» sei morsch gewesen. Dieser sei eingebrochen, als er darüber spazierte. Fredi Koller ist zusammen mit sieben Geschwistern auf einem Bauernhof in Alterswilen aufgewachsen, gleich neben der Kirche. Der Gärtner sei im Friedhof beschäftigt gewesen und habe das Unglück noch rechtzeitig bemerkt. «Er hat mir das Leben gerettet und mich aus dem ‚Gülle-Loch‘ gezogen.» Zudem sei er als Kleinkind in einen Kübel mit heissem Schweinefutter gefallen. Auch da hatte er Glück im Unglück und hat keine schweren Verbrennungen abbekommen. Fredi Koller wohnt heute noch dort, wo er aufgewachsen ist. Doch den Bauernhof gibt es nicht mehr. Fredi Koller liess das Bauernhaus umbauen und hat dabei auch selbst Hand angelegt.

«Heimweh»-Sänger Fredi Koller. Bild: zVg.
«Heimweh»-Sänger Fredi Koller. Bild: zVg.

Betrieb war nicht rentabel

Eigentlich wollte Fredi Koller in die Fussstapfen seines Vaters treten, der vom Appenzellerland im Jahre 1946 in den Thurgau gezogen ist und drei Jahre später den Bauernhof in Alterswilen übernommen hat. Zwar habe er eine landwirtschaftliche Ausbildung gemacht, doch der elterliche Kleinbetrieb mit sechs Kühen sei nicht rentabel zu bewirtschaften gewesen. Sein Vater habe nebenbei noch als Klauenschneider gearbeitet. Fredi Koller erzählt, dass er sich schon immer gerne in grosser Höhe aufgehalten und sich dann für eine Zweitausbildung als Dachdecker entschieden habe. Er habe später noch die Bau-Polier- sowie die Meisterprüfung absolviert. Im Jahr 1990 hat sich Fredi Koller selbstständig gemacht. Seither führt er sein eigenes Dachdeckergeschäft in Alterswilen.

Die Liebe zur Musik sei ihm im wahrsten Sinne des Wortes in die Wiege gelegt worden. «Meine Mutter war eine begeisterte Jodlerin, mein Vater hat gerne gezäuerlet», sagt Fredi Koller. Hin und wieder sei am Sonntag zu Hause zur «Stubete» eingeladen worden, die Verwandtschaft mütterlicherseits sei dann aus dem Luzernischen angereist.

Dem Rock ’n‘ Roll verfallen

Im Alter von etwa 14 Jahren ist Fredi Koller dem Rock ’n‘ Roll verfallen, und daran hat sich bis heute nichts geändert. Beim Rock ’n‘ Roll-Tanzen habe er dann auch Brigitte kennen und lieben gelernt. 1987 haben die beiden geheiratet. Sie haben zwei inzwischen erwachsene Kinder, Melanie und Basil. Fredi Koller hat an der Schweizer Meisterschaft Rock ’n‘ Roll 1981 den fünften Platz belegt. Wie wichtig Familie und Rock ’n‘ Roll für den Dachdecker und Sänger aus Alterswilen sind, zeigen die Tattoos auf seinen Armen «My Love My Family» sowie «My Life Rock ’n‘ Roll», die er sich zum 60. Geburtstag stechen liess. So ist es denn auch: «Meine Liebe ist meine Familie und mein Leben ist der Rock ’n‘ Roll.»

Schicksalsschläge haben Kollers zusammengeschweisst. Fredi Koller ist schon zweimal bei seiner Arbeit vom Dach gefallen. Das zweite Mal am 2. September 2006 aus acht Metern Höhe auf den Betonboden. «Ich bin schwer verletzt liegen geblieben, einige Operationen und wochenlanger Spitalaufenthalt folgten», erzählt Fredi Koller und ergänzt, dass man normalerweise einen Sturz aus dieser Höhe gar nicht überleben würde. Zwei Jahre später habe seine Frau Brigitte mehrfache Bandscheibenvorfälle gehabt. Herkömmliche Behandlungen haben keine Erfolge gebracht, eine komplexe Wirbelsäulenoperation ebenso wenig. «Seither ist sie eine chronische Schmerzpatientin. Wir halten zusammen und unterstützen uns gegenseitig», sagt Fredi Koller.

Ein harter «Grind»

Der Thurgauer hat sich immer wieder aufgerappelt. «Die Familie, Freunde und die Musik tragen mich seit jeher.» Bereits fünf Monate nach seinem schweren Sturz stand er wieder auf dem Dach und hat gearbeitet. All die gemachten Erfahrungen haben ihn aber auch gelernt, dem Tod pragmatisch gegenüberzustehen. Dann sei da noch sein ungebändigter Wille. Fredi Koller ist im Herzen nicht nur ein Thurgauer – er ist auch ein Appenzeller. «Und dies immer mehr», äussert er sich dazu. «Die Appenzeller haben halt einen harten ‚Grind‘, und genau dieser ‚Grind‘ hat mich weitergebracht.»

Die zwölf Sänger des Männerchors Heimweh sind zwischen 31 und 63 Jahre alt und kommen aus acht verschiedenen Kantonen der Schweiz. Die meisten aus der Innerschweiz, deshalb sind auch die Texte im Innerschweizer Dialekt geschrieben. An den Konzerten stehen jeweils acht Sänger auf der Bühne. Der Schweizer Komponist, Songwriter und Produzent Georg Schlunegger komponiert die Lieder und schreibt die Texte. Fredi Koller sagt: «Wir Sänger sind uns alle sehr ähnlich – jeder hat sein Rucksäckli zu tragen. Uns verbindet die Freude an der Musik und an der Schweizer Kultur. Auch sind wir alle sehr naturverbunden und lieben die Berge.»

Mit über 150 000 verkauften Tonträgern durften die «Heimweh»-Sänger 2021 den Diamant-Award entgegennehmen. Bild: zVg.
Mit über 150 000 verkauften Tonträgern durften die «Heimweh»-Sänger 2021 den Diamant-Award entgegennehmen. Bild: zVg.

Mit Stolz erfüllt

Die «Heimweh»-Sänger sind auf Fredi Koller bei einem Auftritt in einer A-cappella-Formation aufmerksam geworden. Eine Bassstimme wurde für den «Heimweh»-Männerchor gesucht. Nie habe er eine solche Anfrage erwartet. Ein Vorsingen und einige Zeit später folgte der Vertrag mit dem aktuell erfolgreichsten Männerchor des Landes. «Es hat mich natürlich mit Stolz erfüllt. Ich war zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort.» An seinen ersten Auftritt mit «Heimweh» schaut Fredi Koller voller Dankbarkeit zurück: «Wir sangen ein Medley in der Live-Sendung ‚SRF bi de Lüt‘ im September 2021 im zürcherischen Pfäffikon.» Mit über 150 000 verkauften Tonträgern durften die «Heimweh»-Sänger in dieser Sendung den Diamant-Award entgegennehmen.

Distanzen und Arbeitszeiten erlauben kaum gemeinsame Proben. Jeder der Männer übe zu Hause selbst. Der Sänger aus Alterswilen investiert dafür täglich rund zwei Stunden. Eine gemeinsame Probe gäbe es nur kurz vorab der Konzerte. Wenn er jeweils zum ersten Mal ein Lied singe, könne auch bei ihm die eine oder andere Träne fliessen, gibt er zu bedenken.

Fredi Koller wird öfters auf der Strasse von fremden Leuten angesprochen. Manchmal wird dann auch ein Selfie zusammen mit dem «Heimweh»-Sänger gewünscht. Solche Momente kämen ihm irgendwie surreal vor. «Ich fühle mich dann schon ein bisschen gebauchpinselt und spüre auch, dass die Musik die Sprache ist, die überall auf der Welt eingesetzt werden kann und auch ehrlich ist. Es freut mich enorm, dass wir mit unserer Musik Jung und Alt gleichermassen begeistern und berühren können.»

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