Fasten mit Gleichgesinnten

Eine Woche lang keine feste Nahrung zu sich nehmen, nur Tee und Wasser trinken. Dieser Verzicht ist anspruchsvoll, das Durchhalten manchmal schwierig. Eine Stütze ist in dieser Zeit eine Gruppe von Gleichgesinnten, wie erfahrene Fasterinnen erzählen.

Während der Fastenwoche wird nebst der Mittagssuppe nur Tee oder Wasser getrunken. Bilder: zVg.
Während der Fastenwoche wird nebst der Mittagssuppe nur Tee oder Wasser getrunken. Bilder: zVg.

Wer in diesen Wochen von Fasten spricht, denkt wohl weniger an Hüftgold und Bikinifigur. Fasten in der Zeit vor Ostern bedeutet mehr als den Verlust von Pfunden. Fasten in der Zeit vor Ostern bedeutet auch ein spirituelles Erlebnis, einen Rückzug aus dem gewohnten Alltag und manchmal auch ein besonderes Treffen in einer Gruppe von Gleichgesinnten. Die Wilerin Dorothea Weiss nahm über 20 Jahre lang an der Fastenwoche der Frauengemeinschaft Wil teil, die bis 2022 angeboten wurde. Jene Fastenwoche wurde jeweils von Schwestern des Klosters St. Katharina geleitet, wo auch ein allabendliches Treffen für alle Teilnehmerinnen stattfand. «Wir beteten, sangen und tauschten Erfahrungen aus. Wir erzählten einander, wie wir den Tag ohne Nahrungsaufnahme erlebt hatten», sagt Dorothea Weiss. Es sei nicht immer einfach gewesen, doch der «Gruppenzwang», wie sie es schmunzelnd beschreibt, habe beim Durchhalten geholfen. Anfangs war die gelernte Coiffeuse noch berufstätig, was das Fasten manchmal erschwerte. Im Gegensatz zu anderen Teilnehmerinnen nahm sie auch biologische Gemüsesäfte zu sich, die sie abends aufwärmte. «Dass ich während der Woche noch ein bis zwei Kilos verlor, war eine angenehme Nebenerfahrung. In erster Linie ging es mir aber um das Spirituelle und das Gemeinsame», sagt die heute 77-Jährige.

Von dieser Erfahrung schwärmt auch Ursi Kunz-Fux, ebenfalls langjährige Teilnehmerin der Wiler Fastenwoche. «Am Anfang war es mir zu anstrengend. Als ich die ersten Tage nur Tee und Wasser getrunken hatte, bekam ich starke Migräne und musste zum Arzt. Von da an ass ich über den Tag verteilt etwas dünne Suppe. Aber das Wie war bei uns eh zweitrangig, jede machte das Fasten so, wie es für sie stimmte», sagt die heute 81-Jährige. Wichtig waren die abendlichen Treffen. «Das war jedes Mal ein Aufsteller. Wir machten Atemübungen, hörten Musik, kamen zur Ruhe.» Sie habe sich zu Hause kleine Projekte vorgenommen, zum Beispiel ihr Silber geputzt. Die Wilerin bedauert es, dass diese Fastengruppe nicht mehr stattfindet. «Mit den Teilnehmerinnen spürte ich auch lange danach immer noch eine tiefe Verbundenheit. Auch Monate später trafen wir uns manchmal auf einen Kaffee in der Stadt.» Heute fastet Ursi Kunz-Fux mit ihrem Mann zwar auch, aber nur tageweise, keine ganze Woche am Stück.

Einen Teller Suppe gibt es beim Fasten als Mittagessen.
Einen Teller Suppe gibt es beim Fasten als Mittagessen.

Die Gruppe trägt

In der Stadt St. Gallen findet das sogenannte «Stadtfasten» vom 16. bis 23. März zum fünften Mal statt. Geleitet wird es von Kathrin Bolt, Pfarrerin von St. Laurenzen, Christian Kassian Albrecht, Gymnasiallehrer und Erwachsenenbildner, sowie Samuel Hug, ärztlich geprüftem Fastenleiter. «Schon früher machte ich positive Fastenerfahrungen und merkte dabei, wie stark eine Gruppe trägt», sagt Samuel Hug. Das Stadtfasten fand auch während Corona statt – online, und dadurch mit vielen Teilnehmerinnen und Teilnehmern über die Stadt St. Gallen hinaus. Bei den Fastenwochen vor Ort treffen sich jeweils um die 30 Leute aus verschiedensten Berufen und Altersgruppen. «Uns allen geht es dabei um unterschiedliche Aspekte. Zum einen wird man sich während des Fastens wieder bewusst, was unser Konsum bedeutet. Wie viele Nahrungsmittel uns zur Verfügung stehen, wie viel wir oft gedankenlos kaufen. Zudem ist es ein bewusstes Austreten aus dem normalen Essverhalten. Man schmeckt das Essen danach wieder ganz neu.» Für den spirituellen Aspekt sind seine Teamkollegen zuständig. Zu Beginn gibt es gesundheitliche Impulse für die Gruppe, danach spirituelle und ökologische. Die kaum gewürzte, salzfreie Suppe, die täglich als Mittagessen eingenommen wird, kochen die drei wie auch Teilnehmende abwechslungsweise. Sie besteht aus Gemüse, das längere Zeit gekocht und danach abgesiebt wird. Ein Höhepunkt der Fastenwoche sei das Fastenbrechen, wie Samuel Hug erzählt. «Für alle gibt es einen Apfel, entweder roh oder geschmort. Dieser Apfel ist ein ganz besonderes Erlebnis.»

Gute Vorbereitung

Auch Ulrike Hasselmann hat eindrückliche Fastenerfahrungen gemacht. Die 60-Jährige ist eine geübte Fasterin, und zum dritten Mal nimmt sie diesen Monat am Stadtfasten teil. «Die Begegnungen am Mittag und am Abend sind etwas ganz Besonderes. Hier erlebt man Fasten ganz anders als in einem Hotel. Die Gruppe spielt für mich eine wesentliche Rolle, sie trägt mich durch den Tag.» Ulrike Hasselmann ist Fachärztin Psychiatrie und Psychotherapie FMH und arbeitet auch während der Fastenwoche in ihrer Praxis. Deswegen müsse sie im Alltag eine gute Selbstfürsorge halten, sagt sie. «Ich beginne jeweils schon drei Wochen vorher mit einer langsamen Vorbereitung, esse immer weniger, verzichte auf Alkohol und auf Fleisch, lasse Süsses weg.» Einen bewussten Einstieg in die Fastenwoche empfiehlt auch Samuel Hug. «Fünf Tage vorher sollte man auf Fleisch und Alkohol verzichten, vier Tage vorher auf Milchprodukte und Kaffee. Am Tag vor dem Fastenbeginn gibt es dann nur noch Früchte und Gemüse.» Nach der Fastenwoche solle man sich so auch wieder schrittweise an die gewohnte Ernährung annähern.

In St. Gallen treffen sich die Fastenden jeden Mittag.
In St. Gallen treffen sich die Fastenden jeden Mittag.

Fokus aufs Fasten

Rund ums Fasten ist es Ulrike Hasselmann auch wichtig, sich auf diese Zeit zu fokussieren. Abends nehme sie zum Beispiel abgesehen von den dreimal stattfindenden Gruppentreffen keine Termine mehr wahr. «Ich freue mich jetzt schon auf die Fastenwoche. Es ist schön, Menschen kennenzulernen, die ich sonst nicht treffen würde. Die Begegnungen in dieser speziellen Atmosphäre sind einfach etwas Besonderes.»

Sich aufs Fasten fokussieren – da sind sich auch Ursi Kunz-Fux und Dorothea Weiss einig. Während der Fastenwoche tue es gut, zu sich selber zu schauen, zum Beispiel einen Spaziergang zu unternehmen, die Natur bewusst zu erleben. Oder sich eine Massage zu gönnen, ein Bad zu geniessen. Samuel Hug betont erneut die Bedeutung des Spirituellen. «Während der Fastenwoche werden die Menschen durchlässiger für neue Ideen. Der Körper wird gereinigt, Eiweissablagerungen lösen sich im Körper – bei der heutigen Überernährung erhält auch dieser Aspekt eine neue Relevanz.»

Ruhige Auszeiten tun während der Fastenwoche gut, etwa draussen in der Natur.
Ruhige Auszeiten tun während der Fastenwoche gut, etwa draussen in der Natur.

Was sagt die Ernährungsberaterin?

«Fasten ist nicht einfach jedem zu empfehlen. Wer sich schon in einem Kälte- oder Schwächezustand befindet, also nicht gesund ist, den könnte es weiter schwächen. Befürworten kann man es bei einer gesunden, starken Person, wenn Fasten nicht ausschliesslich als Schlankheitskur, sondern viel eher als Reinigung und Unterstützung der Ausscheidungsorgane gedacht ist (nebst dem spirituellen Aspekt). Ausserdem sollte das ganze Drumherum stimmen. Also eine angenehme Atmosphäre mit abwechselnd Ruhe und Bewegung, um anschliessend über Ernährungsaufbautage wieder in eine normale Kost zurückzufinden.» Anita Schneider, Ernährungstherapeutin und Naturheilpraktikerin. dh.

 

Das Fastenbrechen ist ein Höhepunkt der Fastenwoche. Die erste feste Mahlzeit besteht aus einem Apfel.
Das Fastenbrechen ist ein Höhepunkt der Fastenwoche. Die erste feste Mahlzeit besteht aus einem Apfel.

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