Wolfspräsenz erfordert Massnahmen im Herdenschutz
Im Weiterbildungskurs auf einem Landwirtschaftsbetrieb in Speicher referierten erfahrene Fachpersonen zum Thema Herdenschutz in Theorie und Praxis. Aufgrund der wachsenden Wolfsbestände werden wirksame Zaunsysteme und Herdenschutzhunde auch in der Ostschweiz immer wichtiger.

Die Landwirtschaftliche Beratungsstelle von Appenzell Ausserrhoden hatte auf den Hohrütihof in Speicher zur Bauernfamilie Gantenbein eingeladen. Stefan Gantenbein, der Juniorchef, begrüsste die 42 Kursteilnehmenden und berichtete, welche Praxis bei ihnen angewendet wird: «Unsere 160 Mutterschafe werden auf der Weide in Zäunen mit vier Litzen oder mit 90 Zentimeter hohen Weidenetzen gehalten. Damit sind unsere Tiere bei der jetzigen Bedrohungslage in unserer Gegend zu 90 Prozent geschützt. Für Herdenschutzhunde ist unser Betrieb nicht geeignet, weil er an ein Wohngebiet grenzt.»
Anschliessend informierte Irene Mühlebach, Herdenschutzbeauftragte von Ausserrhoden, über die angepasste Jagdverordnung, die per 1. Februar in Kraft gesetzt wurde. Punkto Herdenschutz erklärte sie: «Beide Appenzeller Kantone setzen voll auf Zäune und unterstützen die Bauern mit Beratung und Finanzhilfen». Diese erhalten eine Entschädigung von maximal zwei Franken pro Laufmeter, wenn die Weidenetze mindestens 1,05 Meter hoch sind oder der Zaun aus fünf Litzen besteht. Nach dem Kauf eines Viehhüters werden 600 Franken vergütet. Weitere Infos und das Antragsformular zum Herunterladen sind auf der Homepage der Landwirtschaftsämter unter dem Link «Herdenschutz» zu finden.

Der Wolf auf dem Vormarsch
Der Ausserrhoder Wildhüter Silvan Eugster schloss nahtlos an das Thema an und schilderte die aktuelle Wolfssituation. In der Schweiz, die in fünf Grossraubwildkompartimente (Reviere) unterteilt ist, lebten 2024 rund 231 Tiere in 37 Wolfsrudeln. Der Bund legt fest, wie viele Rudel in einem Kompartiment mindestens sein können. Im Kompartiment Nordostschweiz sollen mindestens zwei Rudel leben. Derzeit existiert in diesem Gebiet das Gamserrugg-Rudel im Raum Werdenberg-Obertoggenburg. «In der Gegend um Sennwald hat sich möglicherweise ein neues Paar gebildet, sodass in den nächsten Jahren um den Alpstein ein zweites Rudel entstehen könnte», vermutet Silvan Eugster.
Im vergangenen Jahr gab es in Ausserrhoden neun Wolfsrisse und in Innerrhoden ein getötetes Tier. Beim Wolf als Hetzjäger lösen flüchtende Tiere einen Tötungsinstinkt aus. Bei mehreren Tieren in einer Herde können deshalb entsprechend mehrere Risse erfolgen. «Meldet ein totes Tier auch im Zweifelsfall dem Wildhüter, damit die genaue Ursache festgestellt werden kann», riet der Wildhüter den Anwesenden. Auf Fotos zeigte er, welche Merkmale beim getöteten Tier auf den Riss eines Wolfes oder eines anderen Raubtiers schliessen lassen. Aus Sicht von Silvan Eugster wird der Wolfsbestand trotz der Regulierung weiter anwachsen, weshalb er zu bedenken gab: «Wir können die Faust im Sack machen oder aber mit gezielten Schutzmassnahmen einen Weg mit dem Wolf finden.»

Die zuverlässigen Wächter
Dass je nach Wolfspräsenz besondere Schutzmassnahmen nötig sind, wusste Bruno Hassler, der Gastreferent. Begleitet wurde er von seiner Frau Petra, die ihn auf dem Landwirtschaftsbetrieb tatkräftig unterstützt. Die Familie lebt im Zentrum von Zorten, einem kleinen Dorf in der Nähe der Lenzerheide. Diese Gegend ist von vier Wolfsrudeln umgeben. Auf Fotos zeigte Bruno Hassler Wölfe, die er vom Schlafzimmer aus beobachten konnte. «Das Lenzerhorn-Rudel, das inzwischen reguliert wurde, lebte in unmittelbarer Nachbarschaft. Im letzten Winter habe ich mehr Wölfe als Füchse gesehen», kommentierte er eine Nahaufnahme und ergänzte nüchtern: «Vor fünf Jahren waren wir in Graubünden in Sachen Herdenschutz am gleichen Punkt wie ihr heute im Appenzellerland. Inzwischen haben wir gelernt, mit dem Wolf zu leben.» Da er viele Jahre Erfahrung mit Hütehunden hatte, kaufte er vor fünf Jahren drei Welpen, die er zu Herdenschutzhunden ausbildete. Heute beschützen vier Pyrenäenberghunde und ein Kangal-Hirtenhund seine 80 Milchziegen und 20 Mutterschafe. «Meine treuen Wächter arbeiten im Team eng zusammen, lieben die Ziegen über alles und bieten den besten Wolfsschutz», schwärmte der Hundeliebhaber. Er habe noch nie einen Wolfsriss erlebt. Im Dorf seien seine Hunde mittlerweile akzeptiert. Probleme gebe es eher wegen Reklamationen von Touristen. Mit einem Seufzer fügte er an: «Wir haben mehr Probleme mit den Leuten als mit dem Wolf.»
Sichere Einzäunung
Reto Zogg, Mitarbeiter beim Herdenschutz des Kantons St. Gallen, hatte auf der Wiese verschiedene Zaunsysteme und einen Viehhüter bereitgestellt. Damit demonstrierte er zum Schluss des Kurses die Praxis des Herdenschutzes. Elektrifizierte Weidenetze mit einer Höhe von 0,9 Metern bieten lediglich einen Grundschutz. Reto Zogg empfahl deshalb eine Höhe von mindestens 1,05 Meter. Litzen- und Drahtzäune sollten aus fünf Litzen bestehen. Zaunsysteme sollten ausserdem auffällige Kontrastfarben tragen und können mit Flatterbändern visuell verstärkt werden. Weil der Wolf empfindlich auf elektrische Schläge reagiert, benötigt man einen 230-Volt-Anschluss oder 12-Volt-Akku- oder -Solargeräte. Für die Erdung sollten mehrere Erdungsstäbe in möglichst feuchten Boden gesteckt werden. Auch bei Nässe muss der Zaun eine Spannung von mindestens 3000 Volt haben, damit die Herde als geschützt gilt. Dies kann erreicht werden, indem hoch gewachsenes Gras vor dem Aufstellen des Zaunes zurückgeschnitten wird. «Die Stromspannung muss regelmässig kontrolliert werden – idealerweise täglich mit einem Voltmeter», betonte der Praktiker, der im Grabserberg einen Landwirtschaftsbetrieb führt. «Ebenso wichtig ist die Leitfähigkeit der Drähte. Achtet deshalb beim Kauf darauf, dass die Litzen oder Weidenetze möglichst viele Leiterdrähtchen enthalten», riet er abschliessend den aufmerksamen Kursteilnehmern.