Darum leben die Tiere bis zuletzt auf dem Betrieb
Seit Mai 2024 werden auf dem Mutterkuhbetrieb der Familie Winteler im glarnerischen Mollis die Tiere zur Direktvermarktung auf dem Hof geschlachtet. Trotz enormem administrativen Aufwand: Für Betriebsleiter Adrian Winteler ist diese Art, seine Tiere bis zum Schluss begleiten zu dürfen, eine Bereicherung.

Steil und kurvenreich ist sie, die dem Wetter ausgesetzte Anfahrt auf Mullern, ein wunderschönes Hochplateau weit über dem glarnerischen Mollis. Oben auf der Ebene steht der neu ausgebaute, geräumige Laufstall der Familie Winteler – des ersten und bisher einzigen Betriebs im Kanton Glarus, der Hoftötungen durchführt.
Zehn Kilometer, davon das meiste auf der schmalen Bergstrasse, liegen zwischen dem Stall und der Metzgerei Bären in Netstal. Der Grund, weshalb die Möglichkeit der Hoftötung für Wintelers erst mit der zeitlichen Regelanpassung vor einem Jahr gegeben war.
Eigene Aufzucht
Beim Besuch der ruhigen und menschenbezogenen Mutterkuhherde zeigt sich schnell, wie wichtig der Bergbauernfamilie ein steter Umgang mit ihren Tieren ist. Die 24 Original-Braunvieh-Mutterkühe und die zehn Aufzuchtrinder stammen alle aus eigener Zucht. Der Bestand wurde bei der Umstellung von Milchwirtschaft auf Mutterkuhhaltung 2019 übernommen und ausgebaut. Alle Tiere fordern auch von Besuchern ihre Streicheleinheiten und gönnen diese auch ihren Kälbern, die mit kleinen Glöcklein um den Hals im Stall herumspringen. «So können wir sie auch halten und daran gewöhnen, geführt zu werden», sagt Adrian Winteler. Seit sechs Jahren führt er den Betrieb zusammen mit Ehefrau Nicole in vierter Generation. Die jungen Eltern zweier Töchter hatten von Anfang an ihre Ideen und setzen sie mit viel Idealismus und Unterstützung der Grosseltern Köbi und Vreni stetig um. Die Umstellung auf Mutterkuhhaltung erfolgte aufgrund der Pacht der nahe gelegenen Alp und des abgelegenen Betriebsstandorts. «Schon bei der Umstellung befassten wir uns mit der Hofschlachtung, mussten jedoch aufgrund der Lage unseres Betriebs auf die Erhöhung der zeitlichen Vorschriften warten», so Wintelers, die mittlerweile vier ihrer Rinder für die Direktvermarktung hier geschlachtet haben.

Strenge Zeitvorgaben
Seit dem 1. Juli 2020 ist die Hoftötung in der Schweiz zugelassen, jedoch zunächst mit einer zeitlichen Vorgabe von 45 Minuten zwischen der Tötung und dem Ausweiden des Schlachtkörpers – sprich, bis das Tier im Schlachthof war. Die Erhöhung dieser Vorschrift Anfang 2024 auf 90 Minuten ermöglichte diese Art des Schlachtens auch dem auf 1200 Metern gelegenen Betrieb. «Das mehrere Seiten lange Gesuch hatten wir bei der Gesetzesänderung vorbereitet, sodass die weiteren Abklärungen direkt gestartet werden konnten», erinnern sich Nicole und Adrian Winteler. Bereits beim Umbau wurden baulichen Massnahmen vorausschauend ergriffen und die gut ausgebaute Mechanisierung mit Traktor inklusive Frontlader war ebenfalls gegeben. Für die Bewilligung vom Amt für Lebensmittelsicherheit und Tiergesundheit (ALT) brauchte es einige Formulare und Dokumente – auch vom mitwirkenden Metzger. «Wir sind dankbar, dass wir mit Fritz Kamm junior von der Metzgerei Bären in Netstal einen unterstützenden und offenen Metzger gefunden haben», sagt Adrian Winteler. Denn auch dieser musste für die Genehmigung nebst seinen Werkzeugen und dem Fahrzeug für den Transport weitere Nachweise, beispielsweise sämtlicher Aus- und Weiterbildungen, erbringen.
Strenge Überprüfung
Die Tiere werden bei Wintelers frühestens im Alter von einem Jahr geschlachtet; «Etwas, das gut ist, braucht Zeit, zu reifen», ist Adrian Winteler überzeugt. Da er an kein alterseinschränkendes Label gebunden ist, meldet er ein Tier an, wenn es aus seiner Sicht «parat» ist. Bürokratische Vorbereitungen und Terminvereinbarungen mit ALT brauchen eine Vorlaufzeit von zwei bis drei Wochen. Metzger Fritz Kamm koordiniert den Termin mit dem ALT, welches noch bis zur fünften Schlachtung dabei ist und danach jedes Tier entweder vorgängig oder am Tag der Tötung mittels Lebendschau überprüft.
«Was die Tiere am Schlachttag interessiert oder vielleicht kurz verunsichert, sind die fremden Menschen, die auf dem Hof auffahren», sagt Adrian Winteler. Dies sei nach kürzester Zeit vergessen. Beim vorgängig geübten Anfüttern des zu schlachtenden Tieres im speziellen Fressgitter mit zusätzlicher Öffnung nach unten habe sich das Tier dann bereits daran gewöhnt. Dass die Tiere ruhig fixiert werden können, ist eine Grundvoraussetzung. Wenn Tiere längere Zeit Stress ausgesetzt sind, schütten sie die Stresshormone Adrenalin und Cortisol aus, die sich negativ auf die Fleischqualität auswirken. «Die Bedeutung der Hoftötung liegt darin, dass das Tier stressfrei bis zum letzten Atemzug in seiner gewohnten Umgebung leben darf», ergänzt der Betriebsleiter, dessen Rückmeldungen zur Fleischqualität durchwegs positiv sind.
Dann muss es schnell gehen, die Zeit wird aktuell noch vom anwesenden Amtstierarzt gestoppt. Vom Moment der Betäubung mittels Bolzenschussapparat bis zum Schnitt der Entblutung des aufgezogenen Körpers dürfen maximal sechzig Sekunden vergehen. Beim Metzger und den stets anwesenden Helfern Adrian und Köbi Winteler muss also jeder Handgriff sitzen.

Bis zuletzt selbst in der Hand
Das Tier wird dann auf den dafür abgenommen Anhänger aufgeladen und abgedeckt und geht direkt mit dem Metzger zurück in den Schlachthof – bei ruhigem Verkehr rund 35 Minuten hinunter ins Tal. Auf Mullern geboren, in der gleichen Herde mit den gleichen Gerüchen bis zuletzt gelebt und ohne eine stressige Veränderung im Alltag auf Mullern gestorben. Familie Winteler führt diese Art der Schlachtung aus ethischer Überzeugung durch.
«Sobald wir ein Tier lebend verladen, geben wir aus der Hand, was mit ihm passiert. Für mich ist es mit grossem Respekt gegenüber dem Tier verbunden, dass ich es bis zuletzt begleiten darf», sagt Adrian Winteler, der die Hofschlachtungen stets mit einem angenehmeren Gefühl verbindet als den Abtransport der noch nicht zur Direktvermarktung benötigten Tiere.

Noch ein Nischenprodukt
Gemäss dem zuständigen Amtsleiter Giochen Bearth vom ALT Graubünden und Glarus gibt es in den beiden Kantonen von den über viertausend Ganzjahresbetrieben aktuell acht, die Hoftötungen durchführen. 2024 waren es insgesamt 67 Rinder, neun Schafe und dreizehn Schweine, die auf diese Art geschlachtet wurden. «Wir sehen die Hoftötung als aufwendige und kostenintensive Vermarktungsnische für ganz wenige Betriebe, die sich dieser Herausforderung stellen wollen», sagt Bearth zu dieser Schlachtungsmethode.
