Mit 680 Schafen unterwegs durch die Ostschweizer Landschaft

Die Wanderschafherden stossen bei der Bevölkerung auf Interesse. Das war im Februar 2025 in Niederwil zu beobachten. Daniel Siegenthaler ist mit seinen zwei Border Collies Fern und Don und 680 Schafen von Markus Eggenberger aus Flawil unterwegs. Mitte März geht die Wanderschaft in Schwarzenbach zu Ende.

Daniel Siegenthaler sucht das hinkende Schaf in der Herde.
Daniel Siegenthaler sucht das hinkende Schaf in der Herde.

Den Mittag verbringen die Schafe nördlich von Niederwil in einem provisorischen Pferch und kommen zur Ruhe. Keine Pause gibt es hingegen für den Hirten Daniel Siegenthaler. Er hat am Morgen während eineinhalb Stunden mithilfe von Google Maps die Tagesroute geplant, bei den Landbesitzern angefragt, ob er auf ihren Flächen mit den Schafen weiden kann und wo er den Nachtpferch einrichten darf. Den Zaun für die Nacht hat er in der Mittagszeit in der Nähe eines Waldes aufgebaut. Beim Besuch des «St. Galler Bauer» nimmt er sich im temporären Pferch gerade das letzte Schaf für die Klauenpflege vor. Hinkende Schafe pickt er heraus, säubert die Klauen, schneidet sie und sprüht einen Klauenpflegespray auf. Das Schaf ist wieder entlassen. «Jetzt müssen wir los», sagt der Hirte, öffnet den Zaun, gibt einem seiner Hunde Pfeifkommandos und im Nu setzt sich die Herde in Bewegung. Das Ziel der Wanderschaft ist, dass die Tiere gut genährt nach Hause kommen und alle zufrieden sind, auch die Landbesitzer.

Erste Erfahrungen gesammelt

Die erste Wiese verschmähen die Schafe. Für Daniel Siegenthaler ist schnell klar, warum. Mit dem Schleppschlauch ist Gülle ausgebracht worden und auf dieses Gras haben die Tiere keine Lust. Im Eiltempo geht es zur nächsten Wiese. Immer unter Mithilfe der beiden Border Collies. «Diese Wiese ist richtig, jetzt bewegen sich die Tiere ruhig», stellt der wachsame Hirte fest. Die Schafe überweiden, fressen die Gräser nur oben ab, und im besten Fall und zur Freude der Landbesitzer die Herzen des Löwenzahns. Jetzt beginnt die Beobachtungsphase. Für den Hirten, für die Schreibende und später auch für einige Spaziergänger.

Der 30-jährige Siegenthaler ist diesen Winter zum ersten Mal alleine mit den Schafen auf Wanderschaft. Letzten Winter war er mit Michael Fitze und doppelt so vielen Schafen unterwegs gewesen und hatte dabei seine ersten Erfahrungen gesammelt. «Ich lerne tagtäglich dazu und bin froh, dass ich mich ab und zu mit einer Kollegin austauschen kann, die seit mehreren Jahren als Schäferin unterwegs ist. Das ermöglicht manchmal einen anderen Blickwinkel», gesteht er.

Der Chef ist vorbeigekommen. Daniel Siegenthaler und Markus Eggenberger (rechts) mit Border Collie Fern.
Der Chef ist vorbeigekommen. Daniel Siegenthaler und Markus Eggenberger (rechts) mit Border Collie Fern.

Seit zwei Jahren ist er bei Markus Eggenberger ganzjährig angestellt. Im Sommer hütet er die Schafe weitab im Weisstannental. Dazwischen gibt es viele freie Tage, denn während der 80 Tage Wanderschaft im Winter arbeitet er an sieben Tage pro Woche. Immerhin kann er jeden Abend nach Hause fahren, weil er in der Nähe wohnt. Er hat die landwirtschaftliche Ausbildung absolviert, arbeitete danach acht Jahre auf dem Bau und ist quasi per Zufall als Hirt zu Markus Eggenberger gekommen. Während Siegenthaler erzählt, lässt er den Blick über die Herde schweifen. Selbst wenn er eine Zigarette dreht, schaut er immer wieder auf. Der Blick des Hirten ist die Versicherung der Schafe. Wenn etwa ein Schaf auf dem Rücken liegt und nicht mehr selbstständig aufstehen kann, muss er es drehen.

Weisungen und Auflagen für die Herde

Für das Treiben von Wanderschafherden gibt es vom Amt für Verbraucherschutz und Veterinärwesen des Kantons St. Gallen klare Weisungen und es erteilt die Bewilligungen dafür. Das Treiben darf frühestens ab Beginn der Dürrfütterung am 15. November beginnen und dauert bis 15. März. Die Anzahl der getriebenen Tiere und die Wanderroute müssen angegeben und die Gesundheit der Tiere nachgewiesen werden. Es dürfen weder kranke, verletzte noch trächtige Tiere mitgeführt werden.

In diesem Jahr liegt das Augenmerk speziell auf der Moderhinke. «Wir haben alle unsere Tiere vor der Wanderung mehrmals durch ein Klauenbad gelassen», hat Markus Eggenberger bei Kontaktaufnahme erklärt. Bei dieser Gelegenheit erklärt er auch den Vorteil seines ganzjährig angestellten Hirten Daniel Siegenthaler: «Wir haben mehrere Ställe in der Region. Einer ist in Schwarzenbach. Dort ist er mit der Wanderschafherde gestartet und dorthin kommt er im März wieder zurück. Früher musste ich die Tiere verladen und in den Kanton Aargau transportieren. Das war aufwendig und teuer. Die jetzige Situation ist optimal und weil ich immer in der Nähe bin, kann ich jederzeit vorbeigehen oder ein krankes Tier abholen.» Tatsächlich taucht er an diesem Nachmittag in Niederwil auch auf. Nicht wegen eines kranken Tiers, sondern wegen einer neuen Batterie für den Elektrozaun des Nachtpferchs.

Einzelne Schafe sind sehr zutraulich und suchen die Nähe. Bild: zVg.
Einzelne Schafe sind sehr zutraulich und suchen die Nähe. Bild: zVg.

Wertvolle Hütehunde

Für die Behirtung gibt es ebenfalls Weisungen des Kantons. Der Hirt muss bei günstigen Witterungsbedingungen von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang, in der Regel während zwölf Stunden, anwesend sein. Während seiner Abwesenheit müssen die Schafe eingezäunt sein. Ausserdem muss er für die Betreuung der Schafe dafür ausgebildete Hunde mitführen. Im Fall von Daniel Siegenthaler sind das Fern und Don. Es sind seine persönlichen Hunde, die er ausgebildet gekauft hat. Sie reagieren einerseits auf seine gerufenen englischen Kommandos und andererseits auf die Pfeifkommandos aus seiner flachen Hütepfeife, die an einem Band am Hals baumelt und häufig zum Einsatz kommt.

Die Hunde rennen mit einem ordentlichen Abstand rund um die Herde herum. Mit seinen unterschiedlichen Pfiffen kann Siegenthaler sie rechts herum, links herum und vorwärts laufen oder sich hinsetzen lassen. «Und manchmal stellen sie sich taub und dann brülle ich über die Herde hinweg. Das ist aber anstrengender als das Pfeifen», erklärt er. Es fällt auf, dass er für die beiden Border Collies unterschiedliche Töne pfeift. «Ja, das habe ich selber trainieren müssen, indem ich mit einfachen Melodien verschiedene Töne ausprobiert habe, um dann die Tonlage für jeden Hund zu wählen.» Ohne Hunde wäre seine Arbeit nicht machbar, bestätigt er. Er, Fern und Don sind ein eingespieltes Dreierteam mit einer guten Bindung. «Ein gutes Team mit 680 ‚Followern’», wie der Hirte lachend sagt.

Wanderschafherden interessieren. Spaziergänger Karl Schönenberger mit seiner Enkelin.
Wanderschafherden interessieren. Spaziergänger Karl Schönenberger mit seiner Enkelin.

Die Arbeit mit den Hunden ist für Vorbeigehende das, was fasziniert, wie einige an diesem Nachmittag verraten. Zuerst sind da Grosseltern mit ihrem kleinen Enkelkind, die ihm die Schafe im Mittagspferch zeigen. Kinder sind immer wieder angetan von Tieren. Später kommen auf dem Weg, der entlang der Weide führt, Autos, Velos und Töffs vorbei und mehrere Spaziergänger. Ein E-Bike-Fahrer bietet dem Hirten eine Cola an. Er lehnt höflich und bestimmt ab: «Ich trinke keine Süssgetränke.» Die Sympathie ist trotzdem auf seiner Seite. Ein Ehepaar bringt selbst gebackene Schenkeli vorbei und kommt in ein reges Gespräch mit Daniel Siegenthaler. Lächelnd und geduldig beantwortet er alle Fragen. Dass er keine Esel mitführt und nicht draussen übernachtet, widerspricht zwar den Kindheitserinnerungen der Frau, sie erkennt die harte Arbeit des Hirten trotzdem an. «Und wie die Hunde reagieren, ist einfach faszinierend», freut sie sich. Solche Kontakte sind die Abwechslung im Alltag des Hirten. «Ich bin gerne alleine, gerne in der Natur und komme mit jedem Wetter zurecht. Trotzdem freue ich mich über solche Gespräche. Natürlich ist man auf sich selber gestellt und wird auch mit eigenen Grenzen konfrontiert, aber ich kann mich auch mit anderen austauschen. Dank des Handys ist immer jemand erreichbar und ich kann auch Musik hören.»

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