Schweizerin produziert Ahornsirup in Kanada

Wenn zwischen Januar und März in Kanadas Wäldern tiefe Winterruhe herrscht, beginnt für eine Schweizerin und ihren Mann die intensivste Zeit des Jahres. Rund 30 000 Ahornbäume werden für die neue Ernte vorbereitet und liefern dann den wertvollen Rohstoff, aus dem Ahornsirup hergestellt wird.

Was für die Schweiz der Käse ist, ist für Kanada der Ahornsirup. Ein Produkt, so landestypisch, dass es für viele Kanadier einen hohen emotionalen Wert hat. Nicht umsonst schmückt das Ahornblatt die kanadische Nationalflagge.

Aber Ahornsirup kann noch viel mehr. «Es ist ein unverfälschtes Nahrungsmittel, gesund und lecker», erklärt Nadine Ringgenberg beim Rundgang durch ihre Zuckerhütte unweit der kleinen Ortschaft Lac des Aigles. In der sogenannten Zuckerhütte wird das Ahornwasser gesammelt und zu Sirup weiterverarbeitet.

Ein Produkt mit Tradition

Die Produktion von Ahornsirup ist ein traditionsreiches Handwerk, das im Osten Kanadas und im Nordosten der USA betrieben wird. Lange bevor europäische Einwanderer in diese Regionen kamen, gewannen die indigenen Völker Nordamerikas bereits Ahornsirup.

Rund 70 Prozent des weltweit produzierten Ahornsirups stammen aus der kanadischen Provinz Québec. In dieser Provinz steht auch Nadine Ringgenbergs und Alex Guimonds Zuckerhütte, die «Érablière des Aigles».

Im Frühjahr, wenn die Nächte noch frostig sind, die Tagestemperaturen aber schon über null Grad liegen, wird der Saft des Zuckerahorns gewonnen. Dazu werden die Bäume angezapft und der austretende Saft gesammelt. Früher hingen Kübel unter den Zapfstellen, heute wird der Saft durch Pipelines zur Zuckerhütte transportiert.

Der rohe Baumsaft enthält etwa 98 Prozent Wasser, das mit dem Verfahren der Umkehrosmose reduziert wird. Nach diesem Verarbeitungsschritt enthält der Saft zwischen zehn und 20 Prozent Zucker sowie wertvolle Vitamine und Mineralien. Anschliessend wird die Flüssigkeit bei einer Temperatur von 104 Grad eingedickt. Dieser Prozess, das «Sieden», verwandelt den Saft in den goldenen Sirup mit seinem charakteristischen Geschmack. Es braucht rund 40 Liter Baumsaft, um einen Liter Sirup herzustellen. Ahornsirup wird in verschiedene Qualitätsstufen eingeteilt, die von hell und mild bis dunkel und kräftig reichen.

Ahornsirup mit Biolabel

Als Nächstes führt der Weg in den nahe gelegenen Ahornwald. Die warme Septembersonne scheint durch das lichte Blätterdach und auf den mit niederen Pflanzen bewachsenen Waldboden. Helle Kunststoffleitungen führen auf Brusthöhe kreuz und quer durch den Wald.

Alex Guimond zeigt auf die Bohrlöcher der Vorjahre. «Um nachhaltig, schonend und unserem Biolabel entsprechend zu produzieren, bohren wir pro Baum und Jahr nur jeweils ein neues Loch in den Stamm», erklärt er. Das neue Bohrloch wird farbig markiert, mit einem kleinen Zapfhahn versehen und an das Pipelinesystem angeschlossen. Sobald dann die Witterungsbedingungen stimmen, kann das Ahornwasser bis zur Zuckerhütte fliessen.

Diese Arbeit und damit die intensivste Zeit des Jahres beginnt im Januar. Rund 30 000 Ahornbäume müssen frisch angebohrt werden. Bis das Ahornwasser fliesst, gilt es, die Zuckerhütte für die neue Ernte vorzubereiten. Die grossen Sammelbecken werden gereinigt, und die Umkehrosmose-Anlage eingerichtet. Zu guter Letzt wird das Herzstück der Produktion, die grosse Siedeanlage, startklar gemacht. Mit seinem Wissen als Maschinenbauingenieur hat Alex Guimond weite Teile der Verarbeitung bereits so weit automatisiert, wie sich das in einer bestehenden Zuckerhütte machen lässt.

Zwischen zwei Kontinenten

Nadine Ringgenberg ist im Kanton Waadt aufgewachsen. Im Alter von 14 Jahren wanderte sie zusammen mit ihren Eltern nach Kanada aus. Alex lernte sie während des Studiums kennen. Die beiden wurden ein Paar und zogen nach dem Studium gemeinsam in die Schweiz, wo Nadine an der Uni Bern ihre Doktorarbeit zum Thema Nutztierschutz schrieb. In dieser Zeit arbeitete ihr Mann für einen Energiekonzern.

Sowohl Nadine als auch Alex stammen aus Familien, die Landwirtschaft betreiben. Da war der Weg nicht weit, gemeinsam etwas in Richtung Lebensmittelproduktion zu realisieren. Das junge Paar suchte etwas Nachhaltiges und wurde in der Ahornsirupproduktion fündig. 2015 erhielten sie die Gelegenheit die «Érablière des Aigles» zu erwerben. Acht Jahre pendelten Nadine Ringgenberg und Alex Guimond dann zwischen Kanada und der Schweiz, was mit den beiden Kindern Ines und Sybil, acht und zwei Jahre alt, dann doch zu aufwendig wurde. Seit 2024 lebt die Familie nun ganzjährig in Kanada.

Nadine Ringgenberg und Alex Guimond mit ihren Kinder. Bild: Doris Averkamp-Peters

In der Schweiz gründeten sie 2021 gemeinsam mit einem Freund die kleine Manufaktur Mawoo. In dem Betrieb in Murten werden verschiedene Ahornsirupprodukte und mit Ahornsirup gesüsste Lebensmittel hergestellt und vertrieben. Für Nadine Ringgenberg und Alex Guimond ist Mawoo ein wichtiges Standbein. Mit der eigenen Firma und weiteren Abnehmern von Ahornsirup in der Schweiz erschliessen sie sich mittlerweile einen wichtigen Absatzmarkt für einen Grossteil ihrer Ernte.

Hoffen auf weitere Kontingente

«Die Produktion von Ahornsirup ist in Québec streng geregelt», erklärt Nadine Ringgenberg. Der Verband der Quebec Maple Sirup Producers kauft die gesamte Ernte auf und vermarktet sie. Nadine und Alex kaufen einen Teil der Ernte für den Eigenbedarf und den Export in die Schweiz wieder zurück.

«Jedes Jahr vergibt der Verband gratis neue Kontingente», sagt die Schweizerin, «wir hoffen, dass wir demnächst zusätzliche Kontingente bekommen, denn unser Betrieb kann mehr produzieren.» Was zu viel produziert wird, geht ebenfalls an den Verband der Quebec Maple Sirup Producers. Der überschüssige Teil wird jedoch erst vergütet, wenn er tatsächlich verkauft ist. Der Verband legt jedes Jahr ein grosses Lager an, damit die Versorgung mit Ahornsirup auch in Jahren mit geringeren Erträgen gesichert ist.

Viel Arbeit im Winter

«Alles, was wir über Ahornsirupproduktion wissen, haben wir uns angelesen und durch Learning by Doing erarbeitet», erzählt Alex Guimond. Im Herbst kontrolliert er die Leitungen in den 275 Hektaren Wald, renoviert einzelne Sektoren und fällt gelegentlich auch Bäume, damit genug Licht in den Wald kommt. Wenn dann der erste Schnee fällt, muss er mit dem Schneetöff die Wege offen halten, damit er zu den Zapfstellen und Leitungen kommt, falls während der Ernte etwas beschädigt würde. Dann ist auch die Zeit, um letzte Verbesserungen in der Zuckerhütte vorzunehmen.

Wenn das Ahornwasser dann endlich läuft, bleibt der Fachmann in der Zuckerhütte, an die eine kleine Wohnung angeschlossen ist. «Wir überwachen sowohl die Herstellung des Ahornsirups als auch die gelagerten Fässer», erzählt Nadine Ringgenberg. Sie hätten bisher noch keine Diebstähle zu beklagen gehabt, doch es komme immer wieder vor, dass Ahornsirup in grossen Mengen gestohlen werde.

Zukunftspläne umsetzen

Bereits im Herbst 2024 haben Nadine Ringgenberg und Alex Guimond die Lagerkapazität dank eines grossen Silos erhöht und im kommenden Sommer bauen sie eine neue Zuckerhütte. «Dort lassen wir dann all unsere bisher gesammelten Erfahrungen einfliessen und automatisieren noch weitere Schritte», sagt Alex am Ende des Rundgangs.

Lebensmittel mit Potenzial

Ahornsirup ist nicht nur lecker, sondern auch eine natürliche Alternative zu raffiniertem Zucker. Hier einige der häufigsten Anwendungen: In der Küche dient Ahornsirup als Süssungsmittel in Speisen, Backwaren, Dressings und Marinaden. Auch Heiss- und Kaltgetränke lassen sich damit verfeinern. Ahornsirup eignet sich zudem sehr gut als Topping für Joghurt, Glace und Obst. Nicht zuletzt ist er eine wertvolle Zutat für selbst gemachte Peelings und Gesichtsmasken. dap.

Die Bäume müssen einen Durchmesser von 23 Zentimetern haben, bevor Alex Guimond ein Loch in den Stamm bohrt. Bild: Doris Averkamp-Peters
Die Bäume müssen einen Durchmesser von 23 Zentimetern haben, bevor Alex Guimond ein Loch in den Stamm bohrt. Bild: Doris Averkamp-Peters

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